Vor nur knapp zwei Monaten wurde zum Abschluss des Europäischen Frühjahrsgipfels von unseren Staats- und Regierungschefs erklärt, dass das Schlimmste überstanden sei. Angela Merkel brüstete sich mit ihrem Meisterstück, dem Fiskalpakt. Von ihr dirigiert stimmte der gesamte Rat das große Lied über die Rettung durch Austerität an. Wir Grünen Miesmacher erklärten im März wie schon sooft zuvor, dass eine Krise, die nicht allein durch öffentliche Verschuldung entstanden ist, bestimmt nicht durch einseitig aufs Sparen orientierte Politik überwunden werden kann. So sehr ich mir wünsche, dass es tatsächlich eine Wende gibt, so sehr erschrecke ich doch immer wieder vor dieser Art von Wirklichkeitsverweigerung, wie wir sie im März nach dem Gipfel erlebt haben.
Von der Wirklichkeit eingeholt wurde die EU in den letzten Wochen. Spanien, vor einigen Jahren noch einer der EU Musterschüler, was die üblichen Daten zur Wirtschaftsentwicklung betrifft, kommt gegen die viel zu hohen Kosten für seine Anleihen nicht mehr an. Das Anti-Schuldenprogramm, das die EU verlangt, verschärft die Haushaltslage. Die Arbeitslosigkeit, gerade auch der Jugend, erreicht ein Ausmaß, das den Staat erschüttern muss. Spaniens Banken, trotz der europaweiten gigantischen Finanzspritzen der Europäischen Zentralbank, stehen am Abgrund. Auch in Italien wird gebangt, da die anfängliche Stabilisierung durch den Wechsel von Belusconi zu Monti schwindet. Über Griechenland hängen die kommenden Wahlen. Die Selbstmordrate wächst und Armenküchen boomen. Und dass Frankreich auf dem Schirm der Ratingagenturen als Kandidat zur weiteren Herabstufung läuft, müsste jedem klarmachen, dass wir nicht aus der Krise raus sind sondern immer noch tief drin stecken. Leider sind wichtige Schritte, die getan werden müssten, weiterhin umstritten. Wir sind sicher, dass unsere europäischen Rettungsschirme nicht genug Mittel haben, ganz bestimmt dann nicht, wenn Spanien sich darunter flüchten muss. Wir sind sicher, dass die EFSF bzw. der ESM eine Banklizenz brauchen und dass ermöglicht werden muss, in die Anleihenmärkte einzugreifen. Und mehr denn je zeigt uns die Entwicklung, dass es allerhöchste Zeit ist mit gemeinsamen Investitionsprogrammen gegen die Rezession vorzugehen. Zu Letzterem ist die EU Kommission endlich bereit. Kommissar Andor hat vor wenigen Tagen sein Beschäftigungsprogramm vorgestellt. Was davon verwirklicht werden kann zugunsten dauerhafter Beschäftigung und nachhaltiger wirtschaftlicher Entwicklung bleibt abzuwarten. Der Text setzt viele Signale, die wir Grünen gern hören, weil sie unsere Ideen aus dem Green New Deal aufgreifen.
Das passiert nicht das erste Mal in Brüssel. Tatsächlich haben wir die Auseinandersetzung um vernünftige Steuerpolitik, in der wir durch Energiesteuern Umweltverbrauch oder Klimaschädigung belasten wollen um Arbeit zu entlasten, in dieser Woche gerade wieder im Parlament verloren. War wohl ein böser Vorgeschmack auf die Strategie des Rates. Und obwohl in Brüssel in Hunderten von Reden bereits beschworen wurde, dass eine verbindliche gemeinsame Politik für Energieeffizienz die Jobmaschine überhaupt sein könnte, erleben wir, dass vorneweg die deutsche Regierung eine gute Regulierung in diesem Bereich nicht mehr will. Röttgen ist in NRW beschäftigt und mal wieder nicht da, wo Umweltpolitik gemacht wird. Und Rösler und seine FDP können von Natur aus mit ökologischer Vernunft nichts anfangen, selbst dann nicht, wenn sie der Ökonomie auf die Beine hilft.
In den laufenden Wahlkämpfen haben wir es zur Zeit weder in Frankreich noch in Deutschland leicht. Manch einer meint wohl wieder einmal, dass mit der Umwelt habe sich erledigt. Welch ein Irrtum. Wir haben doch gerade erst angefangen die Fehler der Wirtschafts- und Konsumwunderjahre zu korrigieren.