In Tiflis war Anfang Februar Frühling. In den Hinterhöfen der Altstadt prangten die Bananenstauden strotzend und grün. Vor meinem Hotel standen große Rosenbüsche in voller Blüte. Wer eine vibrierende Stadt in Osteuropa besuchen will, der kann auch im Winter in die Hauptstadt Georgiens reisen. Es gibt viel zu entdecken. Hier treffen nicht nur Asien und Europa zusammen. Der Weg in den Westen, für den die Georgier sich entschieden haben, mit seinen guten und seinen schwierigen Seiten, ist überall zu finden. Ich hatte das Vergnügen, mit dem Stadtrat Aleko Elisashvili die Altstadt zu durchwandern. Der junge und engagierte Politiker, der auch schon zur Bürgermeisterswahl angetreten ist, hat mir die architektonischen Schätze gezeigt, um deren Erhalt er ringt: wunderbare reich verzierte hölzerne Balkone, die selbst an den baufälligen Häusern der Altstadt noch bezaubernd schön sind, die ältesten Kirchen der Stadt, um deren Besitz sich die armenische und die georgische Kirche streiten. Der Kampf um den Erhalt der Altstadt von Tiflis steht im Wettlauf mit einem bedrohlichen Verfall. Gleichzeitig sieht man an vielen Orten der Stadt gigantische oft futuristisch anmutende Neubauprojekte wachsen. Die Georgier sollten rasch entscheiden, wie sie den Kern ihrer Stadt gegen zu viel des Neuen schützen wollen. Sie haben viel zu verlieren.
Wie schon im letzten Sommer habe ich im Februar wieder einen Besuch im Gefängnis von Tiflis gemacht. Der Lehrer Mustafa Emre Cabuk saß dort seit Mai 2016. Der Grund für seine Haft ist ein Auslieferungsantrag der Türkei, die ihm die Unterstützung des gescheiterten Putsches unterstellt. Fünf Tage nach meinem letzten Besuch entließ ihn ein Gericht auf Kaution endlich aus der Haft. Ich war darüber sehr erleichtert und habe von Brüssel aus am Telefon mitverfolgen können, wie ihn seine Frau, seine beiden Söhne, seine KollegInnen und SchülerInnen in seiner Schule und zurück in der Freiheit empfangen haben. Nach allem, was mir von sehr vielen Georgiern berichtet wurde ist Mustafa ein sehr beliebter Lehrer. Die Vorwürfe, er sei ein Terrorist weil er zur Hizmet Bewegung gehört, werden von seinen georgischen Unterstützern für abstrus gehalten. Würde er in die Türkei ausgeliefert, käme er direkt ins Gefängnis und hätte keine Chance auf ein rechtsstaatliches Gerichtsverfahren. Ich setze darauf, dass georgische Richter das nicht zulassen. Das Beste wäre, wenn der Präsident Georgiens Mustafa die georgische Staatsbürgerschaft verliehe. Verdient hat er das allemal. In der Zeit des georgischen Kriegs 2008 hat Mustafa Emre Cabuk in seiner Schule eine Flüchtlingsunterkunft eingerichtet und hundert Georgier fanden dort für ein Jahr ein Zuhause. Auch deshalb kämpfen so viele Georgier jetzt gegen seine Auslieferung.
Die Freilassung von Mustafa war ein schöner Moment. Dahinter liegt aber ein sehr viel größeres Problem. Die gnadenlose Verfolgung türkischer Bürger, die zur Hizmet Bewegung gehören oder Kontakte oder Verwandte in dieser Bewegung haben, ist grenzenlos geworden. Es ist erschreckend, dass Zigtausende in der Türkei allein mit der Begründung ein „Gülenist“ zu sein ins Gefängnis geworfen werden, ihre Arbeit und ihre Existenzgrundlagen verlieren. Meine eigenen langjährigen türkischen Freunde, die weder Gülen noch der PKK anhängen, sondern so säkular und gewaltfrei denken wie ich, werden gleichzeitig als PKK und Gülen Terroristen angeklagt und sitzen im Gefängnis oder haben das Land verlassen. Nichts zeigt den Irrsinn der Justiz besser als diese schwachsinnigen Anklagen. Rechtsstaatlich ist das alles schon lange nicht mehr. Auf keine Fall darf zugelassen werden, dass der lange Arm der Erdogan-Justiz jetzt auch nach immer mehr Türken greift, die außerhalb der Türkei leben. Die andauernden und gravierenden Verstöße gegen Menschenrechte müssen zumindest außerhalb der Türkei Grenzen gesetzt werden.