Anfrage vom 17.Juni 2008:
1. In der Antwort der Kommission auf die Anfrage P-2009/08 von Rebecca Harms vom 1. April 2008 heißt es, die zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten müssten „natürliche Lebensräume und Habitate“ sowie das „ökologische Gleichgewicht“ schützen.
- Wie und womit ist die Niedersächsische Landesregierung nach Ansicht der Kommission diesen Verpflichtungen gerecht geworden?
- Welche Handlungsspielräume haben die zuständigen nationalen Behörden, d.h. hier die Landesregierung, um besonders schützenswerte Gebiete gegen eine Kontamination durch genmanipulierte Pflanzen zu schützen? Kann die Landesregierung beispielsweise Anbauverbote verhängen, Mindestabstände vorschreiben und Schutzzonen einrichten?
- Welche Schritte muss die Landesregierung gegebenenfalls ergreifen, um eine Kontamination und damit eine Gefährdung nach EU-Recht geschützter Gebiete zu verhindern?
- Mit welchen Konsequenzen muss die Landesregierung rechnen, wenn sie ihre Pflichten verletzt haben sollte?
2. Die Mitgliedstaaten sind verpflichtet, Register über den Anbau von GVO-Kulturen zu führen. Welche Fälle sind bekannt, bei denen Schutzgebiete betroffen sind?
3. Wie bewertet die Kommission den Fall im Bundesland Brandenburg, wo die Landesregierung einem Landwirt den Anbau in der Nähe eines Natura-2000-Gebiets untersagt hat? Hält die Kommission dieses Vorgehen für konform mit der Richtlinie 2001/18/EG?
4. Wie beurteilt die Kommission die Rechtsauffassung des Gesetzgebungs- und Beratungsdienstes des Niedersächsischen Landtags nach der eine FFH-Verträglichkeitsprüfung im Fall des Anbaus von MON810 in den besagten Natura-2000-Gebiet vorzunehmen ist, weil es sich um ein Projekt gemäß den Richtlinien 92/43/EWG und 79/409/EWG handelt und die Maßnahme potenziell geeignet ist, eine erhebliche Beeinträchtigung des Natura-2000-Gebiets hervorzurufen?
Antwort von Herrn Dimas im Namen der Europäischen Kommission:
Gemäß Artikel 6 Absatz 2 der Richtlinie 92/43/EWG vom 21. Mai 1992 zur Erhaltung der natürlichen Lebensräume sowie der wild lebenden Tiere und Pflanzen [1] müssen die Mitgliedstaaten geeignete Maßnahmen treffen, um die Verschlechterung natürlicher Lebensräume und Habitate von Arten sowie Störungen von Arten, für die die Gebiete ausgewiesen worden sind, zu vermeiden, sofern sich solche Störungen im Hinblick auf die Ziele dieser Richtlinie erheblich auswirken könnten. Der Kommission liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass das Land Niedersachsen hinsichtlich des Anbaus von genetisch verändertem Mais möglicherweise gegen diese Vorschriften verstoßen hätte.
Genetisch veränderte Organismen (GVO) werden in der EU vorbehaltlich der Zustimmung gemäß Artikel 19 der Richtlinie 2001/18/EG über die absichtliche Freisetzung genetisch veränderter Organismen in die Umwelt [2] und der Zulassungen gemäß der Verordnung (EG) Nr. 1829/2003 über genetisch veränderte Lebensmittel und Futtermittel [3] in den Verkehr gebracht. Die Zustimmung umfasst die Bedingungen für das Inverkehrbringen des Produkts, einschließlich der besonderen Bedingungen für die Verwendung, die Handhabung und die Verpackung der GVO und die Bedingungen für den Schutz besonderer Ökosysteme/ Umweltgegebenheiten und/oder geographischer Gebiete. Die Zustimmung erfolgt auf der Grundlage einer Umweltverträglichkeitsprüfung, bei der alle potenziellen schädlichen Auswirkungen der Freisetzung eines GVO auf europäische Umweltgegebenheiten geprüft werden. Wurden derartige Auswirkungen festgestellt, so kann die Zustimmung an Bewirtschaftungsmaßnahmen für spezifische Lebensräume, Arten, Ökosysteme usw. gebunden werden.
Bisher liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass aufgrund der Freisetzung von GVO in Natura-2000-Gebieten besondere Bewirtschaftungsmaßnahmen erforderlich wären, denn im Rahmen der jeweiligen Umweltverträglichkeitsprüfungen wurde hinsichtlich der besonderen Erhaltungsziele dieser Gebiete kein Bedarf an solchen Maßnahmen festgestellt.
Die Mitgliedstaaten können gemäß Artikel 26a der Richtlinie 2001/18/EG Mindestabstände und andere Maßnahmen für die Koexistenz von GVO mit anderen Arten von Kulturen festlegen. Diese Maßnahmen dürfen jedoch nur wirtschaftlichen Zielen wie die Einhaltung der gemeinschaftsrechtlich vorgesehenen Schwellenwerte für die Kennzeichnung und Rückverfolgbarkeit dienen.
Die Zuständigkeit einer Region für Inspektionen und die Kontrolle der Freisetzung von GVO in die Umwelt ist in den nationalen Rechtsvorschriften des betreffenden Mitgliedstaats geregelt. Stellt ein Mitgliedstaat infolge neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse fest, dass sich ein zugelassener GVO auf ein bestimmtes Ökosystem schädlich auswirkt oder für dieses System ein potenzielles Risiko darstellt, so hat er nach den jeweiligen Verfahrensvorschriften der Richtlinie und der Verordnung nur zwei Optionen:
i) Er trifft eine Schutz- oder Dringlichkeitsmaßnahme und unterrichtet die Kommission und die anderen Mitgliedstaaten entsprechend [4];
ii) er meldet der Kommission und den anderen Mitgliedstaaten diese Information zwecks Änderung oder Beendigung der Zustimmung oder Zulassung [5].
Der Kommission liegen keine spezifischen Informationen darüber vor, ob GVO in Natura-2000-Gebieten angebaut werden.
Allgemeine Anbau- oder Verwendungsverbote (Generalverbote) für GVO sind weder mit der Richtlinie 2001/18/EG noch mit der Verordnung (EG) Nr. 1829/2003 vereinbar. Sie laufen dem Grundsatz zuwider, dass GVO von Fall zu Fall zugelassen werden. Der Anbau von GVO kann im Einzelfall oder bei Vorliegen neuer wissenschaftlicher Informationen, die zur Erhaltung geschützter Lebensräume und Arten Maßnahmen erforderlich machen, beschränkt oder verboten werden. Im Falle zugelassener GVO müssen diese wissenschaftlichen Informationen im Vergleich zu den Informationen, die zum Zeitpunkt der ersten Risikobewertung (vor Erteilung der Anbaugenehmigung) vorlagen, neu sein.
Der Kommission liegt keine Rechtsauffassung des Gesetzgebungs- und Beratungsdienstes des niedersächsischen Landtags zum Anbau von MON810 in dem betreffenden Natura-2000-Gebiet vor. Der Anbau von MON810 in einem bestimmten Gebiet kann, wie bereits erwähnt, jedoch nur ausgesetzt werden, wenn neue wissenschaftliche Informationen darauf hinweisen, dass der Anbau dieses GVO der örtlichen Umwelt potenziell schadet und die Erhaltungsziele des betreffenden Natura-2000-Gebietes in Frage stellt.
[1] ABl. L 206 vom 22.7.1992.
[2] ABl. L 106 vom 17.4.2001.
[3] ABl. L 268 vom 18.10.2003.
[4] Artikel 23 der Richtlinie und Artikel 34 der Verordnung.
[5] Artikel 20 der Richtlinie und Artikel 10 bzw. 22 der Verordnung.