Parlamentarische Anfrage vom 13. März 2009
Im September 2008 wurde anlässlich des 25. Symposiums zur Fusionstechnologie in Rostock bekannt, dass die Errichtung des ITER deutlich teurer werden wird als bisher veranschlagt. Auf gleicher Veranstaltung prognostizierte der stellvertretende ITER-Direktor N. Holtkamp, dass in ca. 50 Jahren die Energieumwandlung mit Kernfusion im industriellen Maßstab erfolgen könnte.
Ich frage die EU-Kommission:
1. Gehören zu den Faktoren, die zu der drastischen Kostensteigerung für den ITER geführt haben, auch sicherheitstechnische Maßnahmen, deren Umfang erhöht wurde oder die neu berücksichtigt werden müssen? Wenn ja, welche sind das?
2. Gibt es gegenwärtig im ITER-Rat Überlegungen, welche Auswirkungen diese Faktoren auf den geplanten Zeitpunkt der Inbetriebnahme des ITER und/oder auf den prognostizierten Zeitpunkt 2058 für die industrielle Nutzung der Kernfusion haben könnten?
3. Welche strategische Bedeutung für die europäische Energieplanung hat die Kernfusionstechnologie aus Sicht der EU-Kommission unter Berücksichtigung einer in frühestens 50 Jahren, möglicherweise noch später gegebenen Verfügbarkeit?
4. Hat die EU-Kommission Wirtschaftlichkeitsberechnungen für den Einsatz der Kernfusion zur Elektrizitätserzeugung durchgeführt oder sind ihr solche bekannt? Wenn ja, wurden dabei auch ökologische Gesamtenergiebilanzen berücksichtigt?
5. Welchen Anteil am Primärenergieverbrauch wird nach Einschätzung der Kommission die Kernfusion zu welchem Zeitpunkt in der EU leisten?
6. Ist die Kommission der Ansicht, dass dieser Anteil zum angegebenen Zeitpunkt auch durch den umweltschonenden und risikoärmeren Einsatz von regenerativen Energiequellen mit abgedeckt werden kann? Wenn nein, warum nicht?
Antwort von Herrn PotoÄ?nik im Namen der Kommission
Die Kostenschätzungen für den Internationalen thermonuklearen Versuchsreaktor (ITER) sind infolge einer Projektentwurfsprüfung, die ausgehend von den 2001 verfügbaren Informationen 2007 durchgeführt wurde, überarbeitet worden. Die Sicherheitsaspekte sind ein wichtiges Element der ITER-Anlage. Sie wurden durchweg beachtet und in allen einschlägigen Entwurfsunterlagen gebührend berücksichtigt. Dagegen sollen mit den Änderungen, die nach der ITER-Entwurfsprüfung vorgenommen wurden, vor allem die wissenschaftlichen Erfolgsaussichten des Projekts verbessert werden. Sicherheitsfragen gehören nach Ansicht der Fachleute nicht zu den Hauptfaktoren, die den Kostenanstieg zwischen 2001‑2008 verursacht haben.
Die Kommission möchte die Frau Abgeordnete auch auf die Antwort auf ihre schriftliche Anfrage E‑1610/09(1) verweisen.
Was den vorgesehenen Zeitplan für die Inbetriebnahme des ITER angeht, ist sich der ITER-Rat durchaus des Risikos bewusst, dass es zu Verzögerungen über das Jahr 2018 (auf das man sich im Juni 2008 zu Planungszwecken verständigt hat) hinaus kommen kann. Diese Frage wird von allen ITER-Beteiligten geprüft.
Der Europäische Strategieplan für Energietechnologie („SET-Plan“) enthält die wichtigsten technologischen Herausforderungen, die in den kommenden zehn Jahren bewältigt werden müssen, um mit bahnbrechenden Neuerungen eine neue Technologiegeneration zu entwickeln und so die für das Jahr 2050 formulierte Zielvorstellung einer CO2-armen Wirtschaft zu verwirklichen. Eines dieser Ziele ist der „Abschluss des Baus des ITER-Fusionsreaktors und die Gewährleistung einer frühzeitigen Beteiligung der Industrie an der Vorbereitung von Demonstrationsmaßnahmen“.
Dem SET-Plan war ein Technologieablaufplan (Technology Map) beigefügt, in dem der gegenwärtige Stand und die Aussichten für die wichtigsten Energietechnologien einschließlich der Kernfusion kurz und vollständig dargelegt wurden(2).
Die wirtschaftliche Realisierbarkeit der Fusionsenergie ist eine wichtige Frage, die direkt mit ihrem künftigen potenziellen Marktanteil im Energiebereich zusammenhängt. Angesichts des Entwicklungsstands der Fusionsenergie ist es aber für schlüssige Schätzungen der Gewinnträchtigkeit oder detaillierte ökologische Gesamtenergiebilanzen noch zu früh. Genauso schwierig ist es daher, den künftigen Anteil der Fusionsenergie vorherzusehen, und die Kommission kann zum gegenwärtigen Zeitpunkt hierüber auch keine Vorhersagen machen. Sozioökonomische und umweltpolitische Folgenabschätzungen, aus denen sich erste positive Anzeichen ergeben, sind im Hinblick auf die Wirtschaftlichkeit der Fusionsenergie im Rahmen des European Fusion Development Agreement (EFDA)(3) durchgeführt worden. Weitere Untersuchungen erfolgen im Rahmen des Implementing Agreement on Environmental, Safety and Economic Aspects of Fusion Power (ESEFP) der Internationalen Energieagentur.
Wenn aber mit dem ITER-Projekt der Nachweis der wissenschaftlichen und technischen Durchführbarkeit der Fusionsenergie gelingt, so ist wohl davon auszugehen, dass die Fusionsenergie langfristig zu einem wirtschaftlich tragfähigen Bestandteil des nachhaltigen, CO2-armen Energietechnologiemix wird.
Die Kommission ist fest davon überzeugt, dass erneuerbare Energiequellen eine äußerst wichtige Rolle bei der Deckung des künftigen Energiebedarfs spielen werden. Die Zielvorstellung der Kommission, wie sie im SET-Plan dargelegt wurde, ist „ein Europa mit einer blühenden, zukunftsfähigen Wirtschaft, die zu einer Vielzahl sauberer, effizienter und kohlenstoffemissionsarmer Energietechnologien weltweit führt, als Motor für Wohlstand fungiert und Schlüssel für Wachstum und Beschäftigung ist“.
(1) http://www.europarl.europa.eu/QP-WEB/
(2) KOM(2007)723 endg., nicht im Amtsblatt veröffentlicht, erhältlich unter: http://ec.europa.eu/energy/technology/set_plan/set_plan_en.htm
(3) Das EFDA führt seit 1996 sozioökonomische Untersuchungen in Bezug auf die Fusion durch. Jüngste Veröffentlichungen finden Sie unter: http://www.efda.org/eu_fusion_programme/scientific_and_technical_publications.htm