Rebecca Harms

Mitglied des Europäischen Parlaments in der Grünen/EFA Fraktion 2004-2019

#atom    19 | 07 | 2008

Harms im Interview mit der Landeszeitung Lüneburg: Spiel mit der Büchse der Pandora

© Landeszeitung für die Lüneburger Heide 2008                                                   vom 18.7.2008, S. 15

 

 

Spiel mit der Büchse der Pandora

Grünen-Europa-Abgeordnete Rebecca Harms wehrt sich gegen Pläne für eine Renaissance der Atomenergie

 

In der politischen Debatte schien die Atomenergie schon längst endgelagert zu sein. Zu unbeherrschbar schienen die Risiken, wie sich in Tschernobyl zeigte. Zu unüberschaubar schienen die Probleme, die man künftigen Generationen mit dem gefährlichen Atommüll aufdrücken würde. Zu riskant erschien eine Technologie, die den Griff zur Atombombe ermöglicht. Jetzt erlebt die Atomenergie ein strahlendes Comeback: Der Zwang, die CO2 -Emissionen zu verringern, um das Treibhaus Erde zu kühlen und explodierende Ölpreise machen es möglich. Eine gefährliche Argumentation, wie die Europa-Abgeordnete Rebecca Harms (Grüne) meint.


Jahrzehntelang konnten Sie sich auf stabile atomkritische Umfragemehrheiten berufen. Jetzt votiert erstmals eine Mehrheit für eine Verlängerung der Laufzeit der Meiler. Kippt die Stimmung?

Rebecca Harms: Ich sehe das als kurzfristige Reaktion auf eine sehr aufgeregte Debatte in Deutschland. Es wird den Bürgern suggeriert, dass die Strom- und Energiepreise sinken, wenn man die neueren Atommeiler etwas länger am Netz lässt. Eine solche Suggestion macht den Schwenk verständlich. Aber das Nein zur Atomkraft ist stabiler als die Umfragen behaupten. Denn klar ist, dass es diese ungefährlicheren, weil moderneren Atomkraftwerke gar nicht gibt. Eines der so genannten jüngeren Atomkraftwerke ist zum Beispiel Krümmel, das im letzten Jahr nach einem Trafobrand abgeschaltet werden musste. Angesichts der augenfälligen technischen Probleme und vielen Pannen darf nicht über längere Laufzeit debattiert werden, sondern da muss es um Stilllegung gehen.

Derzeit müssen Sie wieder Schlachten der Vergangenheit schlagen und Atom-Grundsatzdebatten führen. Verpufften Jahrzehnte des Protestes wirkungslos?

Harms: Aber nein. Die Debatte ist neu eröffnet. Und die Risiken der Atomtechnologie - die der Grund für die starken Proteste in Deutschland und nach der Erfahrung von Tschernobyl Grund für den Ausstieg waren - lassen die Menschen heute genauso vor dieser Technologie zurückschrecken wie vor zehn Jahren.

Dennoch konnten weder Rauchschwaden über Krümmel noch Laugeneinbrüche in Asse das Comeback des Atoms in der politischen Debatte bremsen. Ist die Angst vor dem Treibhaus größer als die vor dem GAU?

Harms: Ich glaube nicht, dass das Bewusstsein über die Folgen der Erderwärmung so wirkt, dass man billigend die immensen Risiken der Atomenergie in Kauf nimmt. Umgekehrt wird ein Schuh daraus: Die Risken der Atomkraft verlieren auch angesichts des Klimawandels nicht ihren Schrecken. Wer sich gegen die atomaren Risiken entscheidet der weiß, dass man den Teufel nicht mit dem Beelzebub austreiben kann. Gut ist, dass man aus der Atomenergie aussteigen und gleichzeitig ehrgeizigen Klimaschutz betreiben kann. Dafür muss man in der Energiewirtschaft endlich umsteuern: Wir müssen den Verbrauch senken, die Effizienz steigern und den Umstieg auf erneuerbare Energien forcieren. Durch Einsparung und Effizienz tun wir auch mehr für die erschwingliche Energieversorgung als mit jeder anderen Technologie. Interessanterweise sind aber die stärksten politischen Verfechter der Atomenergie in Brüssel und Berlin gegen sparsame Autos, gegen ehrgeizige Einsparungen, gegen die Zerschlagung der Energieriesen und weiterhin für Kohle.

Die saubere Wiedergeburt der Kohle ist ungewiss. Erzwingt der Klimawandel die Renaissance der Kernkraft?

Harms: Noch gibt es die saubere Kohle nicht. Und leider werden noch nicht einmal die neuen Kohlekraftwerke in der EU wirklich effizient. Was derzeit hier in Brüssel die Kohledebatte bestimmt, ist eine Technik zur Abscheidung und Einlagerung von CO2 in geologischen Formationen. Da hängen große Hoffnungen dran. Zurzeit befinden wir uns in der Demonstrationsphase. Die sichere Endlagerung von CO2 ist noch nicht gelöst. Marktreif wird die Technik vermutlich gegen Ende des nächsten Jahrzehnts. Von daher ist es viel wichtiger, sich auf Einsparungen, Effizienz auch bei Kraftwerken und auf die erneuerbaren Energien zu konzentrieren.

Kann eine Gesellschaft die Nachkommen auf bestimmte Energieformen verpflichten, etwa durch eine Verankerung des Ausstiegs im Grundgesetz?

Harms: Ich halte wenig von der Idee von Erhard Eppler. Ich sehe keine Zweidrittel-Mehrheit im Bundestag. Aber ich fürchte, dass die Grundgesetzidee nur dazu dienen soll, die Akzeptanz für unbefristete Laufzeiten zu erhöhen. Die Absicht, die CDU als Pro-Atom-Partei zu enttarnen - was soll man dazu sagen? Herausgekommen ist, dass nun Sozialdemokraten, die bisher eher verschämt pro Atom waren, ermuntert worden sind, offen für lange Laufzeiten einzutreten.

Beim G8-Gipfel war Deutschland mit seinem Atomausstieg isoliert. Soll die Welt wieder am deutschen Wesen genesen?

Harms: Deutschland ist nicht isoliert. Drei Viertel der weltweiten Atomstromproduktion findet in nur sechs Ländern statt, darunter allen voran die Atomwaffenstaaten USA, Frankreich und Russland. Nur 31 Länder weltweit haben Atomenergie. Etliche europäische Staaten sind ausgestiegen oder nie eingestiegen. Österreich beispielsweise beobachtet misstrauisch, ob Deutschland wieder zur Hochrisikotechnologie zurückkehrt. Wien macht sich schon genug Sorgen um alte Sowjet-Atomtechnologie in der Slowakei und Bulgarien, hofft eher auf Schützenhilfe aus Berlin gegen den wahnsinnigen Plan, im slowakischen Mochovce ein AKW ohne Containment (Sicherheitshülle) zu bauen.

Dennoch gibt es auch Länder, die mit dem Verweis auf das knapper und teurer werdende Öl neue Meiler bauen, etwa Frankreich und China. Kann Deutschland sich mit seiner nach eigener Darstellung sichereren Atomtechnologie verweigern?

Harms: Von den Brennstoffen, die derzeit in großen Kraftwerken zur Stromproduktion eingesetzt werden, ist Uran die knappste Ressource. Wer wegen Rohstoffknappheit eine große neue Ära des Atomstroms einläuten will, muss auch Ja sagen zum Wiedereinstieg in die Brüter- und Wiederaufarbeitungstechnologien. Im Betrieb hochriskant sind diese Atomanlagen dazu extrem anfällig für Proliferation, also für den Griff zur Atombombe. Wer so aus dem Ölzeitalter aussteigen will, öffnet die Büchse der Pandora. Die Atomlobby propagiert das. In Deutschland ist man mit dem Brüter in Kalkar grandios gescheitert. Und in Deutschland wollen die Atomkonzerne derzeit gar nicht neu bauen sondern aus abgeschriebenen Meilern so viel Profit wie möglich quetschen.

Vielleicht aus diesem Grund schindet RWE bei Biblis A Zeit. Eine lange Revision könnte den zur Stilllegung anstehenden Meiler in die neue Legislaturperiode hinüberretten. Hat Rot-Grün beim Ausstiegsgesetz Lücken gelassen?

Harms: Diese Praxis ist gefährlich. Ich halte es für notwendig, ein Enddatum für den Betrieb der AKWs festzulegen. Sollte es aber wirklich dazu kommen, dass eine neue Bundesregierung unbefristete Laufzeiten zulassen will, müssen wir die juristische Auseinandersetzung suchen. Anlagen wie Biblis A, die seit 30 Jahren am Netz sind, müssen daraufhin untersucht werden, ob sie dem heutigen Stand der Technik und den heutigen Sicherheitsanforderungen entsprechen. Der Antrag auf unbefristete Laufzeiten müsste deshalb so behandelt werden, als stünde eine Neugenehmigung nach Atomgesetz an.

Die Unternehmen müssen für die Endlagerung von Atommüll Rückstellungen bilden, die steuerfrei sind. Kann über diesen Hebel Druck auf die Unternehmen aufgebaut werden?

Harms: Die Auseinandersetzungen um die Rückstellungen spielen in Brüssel eine große Rolle. Die Kommission hat nach langem Streit empfohlen, die Fonds vom Unternehmensvermögen getrennt zu verwalten. Ich halte noch mehr von der ursprünglichen Idee der Kommission, nämlich die Entsorgungsfonds staatlich zu verwalten.


Vermutlich wird die Union schon 2009 mit dem Slogan "Atomstrom ist Ökostrom" in den Wahlkampf ziehen. Gesetzt den Fall, eine neue Mehrheit würde aus dem Ausstieg aussteigen: Wäre ihr Lebenstraum zerbrochen?

Harms: Dieser Slogan ist einer der unsinnigsten, der je geprägt wurde. Wer Atomstrom zum "Ökostrom" verniedlicht, ignoriert die drei Megarisiken, den GAU, den Müll und die Bombe. Ganz zu schweigen von den Gesundheitsrisiken, die auch mit dem normalen Betrieb verbunden sind, an die zuletzt eine Kinderkrebsstudie des Bundesamts für Strahlenschutz erinnerte.
In meinen Lebensträumen spielen noch andere Dinge als CO2 und Atom eine Rolle. Und gerade angesichts des unsinnigen Slogans: Ich sehe uns Grüne und die Umweltbewe-gung in einer sehr starken Position. In den nächsten Jahren wird wegen der Energiepreise und der Umweltrisiken des alten Energiemixes der wirkliche Durchbruch für eine nachhaltige Energiewirtschaft gelingen und die lässt keinen Platz für eine Hochrisikotechnolgie.

Wenn es doch anders käme: Wie würde das Wendland reagieren - Resignation oder Radikalisierung?

Harms: Das Wendland ist alles andere als resigniert. Wir haben eine in Deutschland eine lange einzigartige Widerstandsgeschichte und Kultur. Nichts vitalisiert besser als die Mär vom ökologischen AKW. Im Herbst werden wir anlässlich der Castor-Transporte sehr viel mehr Unterstützung bekommen als in den vergangenen Jahren - nicht nur aus Deutschland, sondern auch aus Nachbarländern, wo man mit Sorge verfolgt, wie der Atomausstieg in Deutschland in Frage gestellt wird.

Das Interview führte Joachim Zießler.

 

{{tpl:tocbox |style=width:60%;margin:6px; |hd=****Mehr zu Atom****  |bd={toc |dt=Wiki |groupID=rharms |public=1 |tags=atom|max=10 |template=tpl:link-list-rh }
}}


#atom   #atomkraft   #laufzeiten   #nuclear renaissance   #klimaschutz