Rebecca Harms

Mitglied des Europäischen Parlaments in der Grünen/EFA Fraktion 2004-2019

#atom    18 | 02 | 2019
Blog

"The State of Nuclear Power" - Konferenzbericht

Bevor ich im Juni 2019 meine Arbeit im Europäischen Parlament beende, habe ich noch einmal meine langjährigen WegbegleiterInnen und MitstreiterInnen für den Atomausstieg in Brüssel zusammengeholt. Gemeinsam mit dem Brüsseler Büro der Heinrich-Böll-Stiftung und der Fraktion der Grünen im EP hatte ich eingeladen, um den Stand des Erreichten und alte und neue Herausforderungen darzulegen und Schwerpunkte der weiteren Zusammenarbeit zu klären. Die Resonanz hat unsere Erwartungen weit übertroffen. Die TeilnehmerInnen kamen aus 26 Ländern, darunter Japan, USA, Kanada, Russland und Usbekistan. Die ExpertInnen, mit denen wir diskutierten, repräsentierten die Anti-Atom-Bewegung, Wissenschaft, Aufsichtsbehörden und Politik.

In der öffentliche Veranstaltung gab Mycle Schneider mit der Vorstellung seines „World Nuclear Industry Status Reports 2018“ (www.worldnuclearreport.org) eine wichtige Orientierung für die nachfolgenden Debatten. Ich arbeite mit ihm, seit wir uns 1986 auf einer internationalen Konferenz in New York getroffen haben. Damals ging es um die Folgen von Tschernobyl. In Brüssel setzte Mycle Schneider den Status Report der immer wieder neu aufflammenden Rhetorik über die Rolle der Atomkraft zum Klimaschutz entgegen. Der Bericht, zu dem ein globales Netz von Experten Jahr für Jahr beiträgt, zeigt mit Zahlen und Trends immer klarer, dass jeder in Erneuerbare investierte Euro deutlich mehr und deutlich schneller zum Klimaschutz beiträgt, als ein Euro, der in die Atomkraft fließt. Ich bin stolz darauf, dass es mir zusammen mit vielen anderen Unterstützern, darunter auch den Grünen im EP und den Länderbüros der Böllstiftung, gelungen ist, den World Nuclear Industry Status Report nicht nur mit anzustoßen sondern auch zu seinem Erfolg und seinem Einfluss beizutragen. Nachdem die EU Kommission die Atomenergie jüngst in ihre Klimastrategie aufgenommen hat, empfehle ich die Zahlen über die schlechte Performance der Atomindustrie zur Kenntnis zu nehmen.

Besonders gefreut hat mich, dass Klaus Töpfer als Vorsitzender des deutschen Nationalen Begleitgremiums zum neuen Standortauswahlverfahren für das Atomendlager in Brüssel gesprochen hat. Als ich ihn kennenlernte, war er deutscher Umweltminister und wir standen in Gorleben auf entgegengesetzten Seiten. Er appellierte in Brüssel zu Recht, nicht in ein Gewinner-Verlierer Schema zu fallen angesichts der großen Schwierigkeiten, eine verantwortbare Lösung für die dauerhafte Lagerung von Atommüll zu finden.

Die öffentliche Abendveranstaltung und die sich anschließenden internen Workshops waren für mich auch eine Art Retrospektive meiner Arbeit in den letzten 15 Jahren zu dem Thema. Denn mit vielen der anwesenden Experten und Freunden habe ich sehr eng zusammengearbeitet. Da war zum Beispiel Lina Sabaitienė, die stellvertretende Energieministerin aus Litauen, mit der ich in den letzten Monaten für ausreichende Mittel im Stilllegungsfonds für das Atomkraftwerk Ignalina gearbeitet habe. Während der Abriss des monströsen AKW Ignalina vorangeht, brauchen die Litauer vermehrt Unterstützung gegen das Atomkraftwerk Astravyets, das Rosatom in Weißrussland direkt an der Grenze zu Litauen nur 30 km von Vilnius hochgezogen hat. Mit dem Bulgarischen Reaktorexperten Georgi Kastev bin ich Anfang 2012 nach Fukushima und durch Japan gereist ("Ein Tag in Fukushima, eine Woche in Japan"). Johan Swahn traf ich in Schweden, um die Probleme der Lagerung von Atommüll in Kupferkanistern besser zu verstehen. Yves Marignac habe ich noch als Lehrling von Mycle kennengelernt. Inzwischen hat er mich und auch Claude Turmes immer wieder beraten und verfasste zuletzt eine Kritik am PINC-Papier 2016 der EU-Kommission (PINC 2016 - The Illusionary Programme). Sein Papier zeigt, dass die EU Kommission vollkommen unrealistische Annahmen zu den Kosten der Atomkraft und insbesondere der Laufzeitenverlängerung verwendet und dadurch zu unrealistischen Prognosen für den Atomanteil an der zukünftigen Energieversorgung kommt. Das ist jetzt wieder aktuell, wenn man sich mit der Langzeitstrategie für den europäischen Klimaschutz auseinandersetzt. Erwähnen muss ich noch Asta von Oppen, von der Rechtshilfe Gorleben, die ich seit der Gründung der Bürgerinitiative gegen Gorleben kenne und die die Zweifel am Neuanfang der deutschen Endlagersuche in Brüssel vorgetragen hat. Iryna Holovko von CEE Bankwatch kam aus Kiev, um den Irrsinn des Weiterbaus auf der Atombaustelle am ukrainischen AKW Kmelnitski zu erläutern, die vor ca. 30 Jahren aufgegeben worden war. Ozgur Gurbuz vertrat die türkische Anti-Atom-Bewegung, die sich weiter mit Akkuyu und Sinop herumschlägt. Das Netzwerk der Atomfreien Regionen, das wir in den letzten Jahren aufgebaut haben, war prominent mit dem frischgebackenen Energieminister Claude Turmes vertreten. Die Heinrich-Böll-Büros aus vielen Ländern hatten unsere Partner ermutigt und unterstützt, nach Brüssel zu kommen. Und so könnte ich weiter und weiter und weiter schreiben, über diejenigen, mit denen ich beständig über Jahrzehnte zusammen gearbeitet habe und die, mit denen ich bestimmte wichtige Projekte realisieren konnte.

Die Veranstaltung hat aber nicht nur das Erreichte vor Augen geführt. Viele Leute aus meinem doch erstaunlich großen globalen Netz von AktivistInnen und ExpertInnen haben auch meine KollegInnen kennengelernt, die wie Benedek Javor aus Ungarn oder Jutta Paulus aus Deutschland hoffentlich in der nächsten Legislatur auf ihre Art die Arbeit weiterführen. Ich selber habe mir, damit es nicht langweilig wird, die Koordination des ersten World Nuclear Waste Reports vorgenommen. Ich hoffe, dass die erste Ausgabe in diesem Sommer fertig ist auch dank der Arbeit von Arne Jungjohann, Mycle Schneider, Gordon McKerron, Marcos Buser, Ben Wealer und vielen anderen. Als 1976 Gorleben zum Standort für das Nukleare Entsorgungszentrums der BRD wurde hätte ich nie gedacht, wohin mich die Arbeit gegen Gorleben und die Atomkraft führen würde. Heute bin ich froh, dass wir in Deutschland und einigen anderen der wenigen Atomstaaten den Ausstieg erreicht haben. Die Aufgabe zu klären, wie der Atommüll sicher zwischen- und endgelagert werden kann, die geben wir an die nächste Generation weiter. Damit bei dieser Übergabe nicht zu viel Wissen verloren geht, habe ich mit den anderen die Arbeit am World Nuclear Waste Report begonnen. Hier zum Schluss noch mal mein Dank an alle, die in Brüssel lobend über die Arbeit geredet haben, die mein Team - danke, ihr seid wirklich toll und haltet jeden Stresstest aus -  mit mir in den letzten 15 Jahren geleistet hat. Ich nehme das als Einladung, demnächst dann für die Finanzierung der beiden Berichte bei Euch allen anzuklopfen.

PS: Entschuldigung an alle, die jetzt nicht genannt worden sind.
 


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