Rebecca Harms

Mitglied des Europäischen Parlaments in der Grünen/EFA Fraktion 2004-2019

#atom    01 | 04 | 2016
Blog

Terroranschläge in Brüssel - Atommeiler sind vor-installierte Bomben für Terroristen


Als am 22. März, nachdem gerade Explosionen vom Brüsseler Flughafen gemeldet worden waren, der zweite Anschlag auf die Metrostation Maelbeek verübt wurde, saß ich mit dem  Botschafter der Türkei  in meinem Büro im Europäischen Parlament
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Dieses ist nur wenige Hundert Meter entfernt von der Metro Maelbeek. Nebenan bereiteten sich alle Mitglieder meines Teams für unsere Büroklausur vor. Zuerst ging es uns allen im Büro wie bei ähnlichen Terrorakten, die aus Paris, der Türkei, Syrien  oder anderen Teilen der Welt gemeldet werden:  Alle Gedanken sind bei den Opfern und deren Familien. Nach den Anschlägen von Brüssel kam dann aber noch etwas anderes hinzu: die Sorge um Freunde und Kollegen. Das Europäische Parlament liegt im sogenannten Europaviertel Brüssels nur zwei Blöcke entfernt von der Metrostation, in der der zweite Anschlag verübt wurde. Für viele Parlamentsmitarbeiter ist sie Teil des täglichen Wegs zur Arbeit. Viele von uns nutzen den Brüsseler Flughafen mehrmals in der Woche und täglich kommen dort Leute aus der ganzen Welt an, mit denen wir zusammenarbeiten.  In den Stunden nach den Anschlägen, versuchten wir daher, Freunde und Kollegen zu erreichen und besorgte Nachfragen zu beantworten. In die schrecklichen Bilder und das Erschrecken über die wachsenden Opferzahlen, mischte sich die Frage, was kommt als nächstes, was kann noch passieren? Ob das rational oder irrational ist? Ich weiß es nicht. Aber wir machen seit der letzten Woche die Erfahrung, dass mit diesen Ängsten umgegangen werden muss. Und das betrifft nicht nur uns, die wir im Europaviertel für die Politik stehen. Das betrifft das Reinigungspersonal, jeden Sicherheitsbeamten, die Angestellten der Hotels und Restaurants im Viertel, die Journalisten und Techniker, die in großer Zahl für die Vermittlung unserer Arbeit das Europaviertel bevölkern.

Ausgelöst durch die Nachricht, die Belegschaft in den belgischen AKWs sei "evakuiert" worden, kamen am Tag der Brüsseler Anschläge auch Anfragen zu den Terrorrisiken von Atomkraftwerken bei mir an.  In Zeitungsartikeln und  in den  sozialen Netzwerken wurde bald über  die Gefahr von Anschlägen auf die belgischen Atomkraftwerke Doel und Tihange spekuliert. Dabei ist die sogenannte Evakuierung der Mitarbeiter eine geplante Maßnahme für den Fall, dass die höchste Terrorwarnstufe in Belgien ausgerufen wird. In diesem Fall verbleiben in belgischen Atomkraftwerken nur die Mitarbeiter, die für den Betrieb gebraucht werden. Ich sah mich, die ich ja als radikale Atomkraftgegnerin bekannt bin,  plötzlich mit der Herausforderung konfrontiert, die belgischen Maßnahmen und  die Terrorrisiken für Atomanlagen so zu beschreiben, dass damit nicht schlicht mehr Panik verursacht würde.
Im Rückblick auf die letzte Woche bleibt festzuhalten, dass das Terrorrisiko für Atomanlagen schon immer ein Grund gegen die Nutzung dieser Hochrisikotechnologie war.  Und auch wenn es in Belgien eine besondere Sicherheitslage gab, ist dieses Risiko keineswegs auf die belgischen Atomkraftwerke beschränkt.  Schon nach den Anschlägen von 9/11 wurde offensiv vor den enormen Gefahren eines Terroraktes gewarnt , der gar nicht nur direkt auf ein AKW sondern auch auf die damit verbundene Infrastruktur zielen kann.  Immer wieder gibt es konkrete Hinweise, dass terroristische Gruppen die Reaktoren als Anschlagsziele in Visier nehmen könnten. Ich erinnere mich an Berichte, wonach einer der Attentäter des 11. September als Teil einer Besuchergruppe das AKW in Stade besucht hat. Die französische Regierung hatte nach 9/11 die Wiederaufarbeitungsanlage auf dem Cap de la Hague durch Flugabwehr schützen lassen. Bereits vor zwei Jahren machten Medien aus den Niederlanden darauf aufmerksam, dass ein belgischer Dschihadist drei Jahre lang im Atomkraftwerk Doel gearbeitet hatte.  Auch im Zuge der Ermittlungen nach den Terroranschlägen von Paris im November letzten Jahres, hatte es Hinweise darauf gegeben, dass Atomkraftwerke mögliche Ziele waren und Experten wie Wolfgang Renneberg, einst Deutschlands oberster Atomaufseher, gehen davon aus, dass es bereits Internetangriffe auf Kernkraftwerke gegeben hat. Der Diebstahl von spaltbarem Material aus Atomanlagen könnte auch zu den Zielen gehören. 

Die Erfahrung des Terrors in Brüssel führt uns erneut vor Augen, was wir schon lange wissen.  Atomkraftwerke stellen ein besonderes Sicherheitsrisiko dar.  Das Terrorrisiko ist eines von mehreren. Anschläge, menschliches Versagen, technische Mängel, Naturkatastrophen und veraltete Anlagen: Die Liste der möglichen Gründe für eine erneute Atomkatastrophe ist erschreckend lang. Die Katastrophen von Tschernobyl und Fukushima waren nicht die Folge von terroristischen Anschlägen. Die Anlagen von Tihange und Doel weisen Risse im Reaktordruckbehälter auf, deren Ursprung unbekannt ist und die auch ohne terroristischen Anschlag ein Sicherheitsrisiko sind.  Die Anschläge von Brüssel haben  die Gefährlichkeit der Atomtechnologie zugespitzt in den Fokus gerückt. Der Ausweg aus diesem Teil der Gefahr durch Terror ist vergleichsweise einfach und heißt immer noch: Abschalten und Stilllegen.
Zu den Antworten auf die Frage, wie wir uns in Brüssel und in demokratischen offenen Gesellschaften insgesamt besser schützen können wird erwartungsgemäß, wie nach jedem Anschlag gestritten. Neu ist die Heftigkeit, mit der den belgischen Sicherheitsbehörden und der Polizei vorgeworfen wird, sie hätten im Vorfeld versagt. Dem wird in Belgien nun in einem Untersuchungsausschuss nachgegangen. Nicht neu ist, dass es ganz offensichtlich keinen großen  Mangel an Erkenntnissen und Daten zu den Terroristen gab. Mangel gibt es aber eindeutig bei der polizeilichen Ermittlungsarbeit und der Zusammenarbeit zwischen den Sicherheitsbehörden in der EU
 

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