Rebecca Harms

Mitglied des Europäischen Parlaments in der Grünen/EFA Fraktion 2004-2019

#ukraine    21 | 06 | 2016
Blog

Kiew-Pride: Kiewer Polizei verteidigt Bürgerrechte gegen Gewalt


In vielen Innenstädten der Welt gehen jährlich Bürger für eine tolerante und bunte Gesellschaft, für Demokratie, Menschenrechte und gleiche Rechte für alle auf die Straße. In vielen Ländern kommt es immer wieder zu Konfrontationen. Im letzten Jahr sahen wir schockierende Bilder von gewalttätigen Übergriffen und eine unorganisierte und unwillige Polizei. Deshalb hatte ich schon im letzten Jahr entschieden an der  Kiew Pride 2016  teilzunehmen und ein klares Zeichen für Demokratie und Menschenrechte zu setzten. Meine Parlamentskolleginnen Anna Gomes von der Sozialdemokraten und Sophie in’t Veld von der liberalen Fraktion sind meiner Einladung gefolgt und mit mir zusammen nach Kiew gereist. Wir hatten unsere Teilnahme bekannt gemacht und auch bei der Stadt Kiew und im Innenministerium die Ermöglichung der Demonstration eingefordert.
 
Erlebt haben wir einen wichtigen Tag - nicht nur für die LBGTI-Community in der Ukraine, sondern für das ganze Land. Neben uns drei Europaabgeordneten waren auch sieben Abgeordnete des ukrainischen Parlaments, der Verkhovna Rada, eine seit Jahren treue Delegation aus München und Vertretern von Botschaften dabei, als der Kiewer Pride-Marsch erstmals wirklich sichtbar stattfinden konnte. Der Marsch fand im Zentrum der Stadt statt und war mit geschätzt 1500 Teilnehmern nicht nur um ein Vielfaches grösser als im vergangenen Jahr, er verlief auch überwiegend friedlich. Erleichterte Aktivisten aus Kiew sprachen mir gegenüber von einem entscheidenden Zeichen für Toleranz, gegen Hass und Ausgrenzung, von einem Fortschritt in Richtung liberaler Werte. Wir erlebten an diesem Tag junge Ukrainer, die sich auf der Straße für gleiche Rechte, für Versammlungsfreiheit und Pluralismus einsetzten und damit wichtige Ziele des Euromaidans wiederholten. 
 
Dass der Marsch bis auf einen schweren gewaltsamen Übergriff friedlich verlaufen konnte, ist ein wichtiger Erfolg für die neue ukrainische Polizei, die durch große Präsenz den Willen der Ukrainischen Politik, Vielfalt und Toleranz zu ermöglichen, wie auch Recht zu schützen unter Beweis gestellt hat.
 
Die erfolgreiche Pride darf natürlich nicht außer Acht lassen, dass Menschen wegen ihrer sexuellen Orientierung noch immer unter Ablehnung, Diskriminierung und offener Gewalt leiden. In zahlreichen Gesprächen mit Vertretern der ukrainischen Politik, Journalisten und mit NGOs habe ich deshalb immer wieder deutlich gemacht, dass die Ukraine den Weg, den sie zum Beispiel mit der Verabschiedung eines Diskriminierungsverbots im Arbeitsrecht eingeschlagen hat, entschlossen weitere gehen muss. 
 
Die Auseinandersetzung um die Rechte der LGBTI-Community ist natürlich bei weitem nicht die einzige zentrale Herausforderung für Menschenrechte in der Ukraine. Immer wieder flammen im Osten der Ukraine die vom russischen Kreml unterstützten Kämpfe auf.  In der letzten Woche haben die Kampfhandlungen sogar wieder zugenommen, denen allein im Mai 30 Menschen zum Opfer gefallen sind. Vor wenigen Wochen haben die Berichte des Deutschlandfunks (http://gruenlink.de/16wo), über zahlreiche Folterfälle im umkämpften Osten der Ukraine für viel Aufsehen gesorgt. In Kiew habe ich viele Gespräche dazu geführt - darunter auch mit der Organisation „Justice for Peace in Donbas“, mit der ich über den Bericht ‚Surviving Hell‘ gesprochen habe, in dem Opfer von Folter über ihre schrecklichen Erfahrungen berichten.  (http://gruenlink.de/16wq)
Ich verurteile alle Fälle von Folter entschieden, deren überwiegende Zahl allerdings von den pro-russischen Kräften begangen wird. Doch auch in dem von der Ukraine kontrollierten Gebiet haben Gefangene unter Folter und unwürdigen Haftbedingungen gelitten. Ich habe in meinen Gesprächen deutlich gemacht, dass die Ukraine dem unbedingt ein Ende bereiten muss. Die Ombudsfrau für Menschenrechte hat die Vorbereitungen für Verfahren geleistet. Innen- und Justizbehörden und die Staatsanwaltschaft müssen die juristische Verfolgung nun gewährleisten. Die Folterkommission der UN hatte ihren Besuch abgebrochen, da der ukrainische Geheimdienst ihnen den Zugang zu Haftanstalten verweigert hatte. Die Ukraine ist Unterzeichner des ‚Optional Protocol to the Convention against torture‘ (OPCAT) und ist demnach verpflichtet, die Folterkommission zu empfangen. Die Verschiebung der Inspektion war ein schlechtes Zeichen. Die UN Vertreter müssen jetzt wie angekündigt vollen Zugang zu allen Gefängnissen erhalten, der ihnen bisher teilweise verwehrt wird. 
 
Wir Europäer dürfen bei Verfehlungen der Ukrainischen Seite nicht wegsehen, sondern müssen entschlossen und konstruktiv Kritik äußern. Viele Ukrainer fordern uns dazu immer wieder auf. Wir können unseren Einfluss im Land aber nur dann aufrechterhalten, wenn unser Angebot auf Annäherung und Kooperation glaubhaft bleibt.  Aktuell erleben wir aber das Gegenteil. Die Umsetzung des Assoziierungsabkommen mit der EU ist in Folge des Referendums in den Niederlanden ins Stocken geraten und die rasche Einführung der Visaliberalisierung wird in Frage gestellt, weil es Probleme mit der Visafreiheit für die Türkei gibt. Die Zick-Zack-Debatten zu den Sanktionen gegen Russland und die Servilität vieler EU Staatschefs gegenüber Wladimir Putin erschüttern das Vertrauen in die EU. Es ist nicht so, dass die jungen Leute ihre Ziele aufgeben. Aber sie verstehen diese Wankelmütigkeit nicht. Sie sind einverstanden damit, dass es keine militärische Lösung des Konfliktes gibt. Aber sie erwarten, dass die europäische Antwort auf die Annektierung der Krim und den Krieg im Donbas mit Sanktionen und Diplomatie eine politische Lösung zu erreichen, jetzt auch durchgehalten wird. (http://gruenlink.de/16w1)
 
Ein besonderes Treffen hatte ich mit Nadija Sawtchenko der ukrainischen Soldatin, die in einem politischen Verfahren, dass an Stalinzeiten erinnerte, zu einer drakonischen Strafe verurteilt wurde, nach dem sie illegal nach Russland entführt worden war. Ich war sehr gespannt auf dieses Treffen. Als ich auf Wunsch russischer Menschenrechtsorganisationen im September 2014 zur Prozessbeobachtung nach Moskau reiste, wurde gegen mich von der russischen Regierung ein Einreiseverbot verhängt. Ich beteiligte mich seither an der Kampagne "#LetMyPeopleGo", mit der Menschenrechtsgruppen sich weltweit dafür einsetzten, dass die ukrainischen Bürger, die zu politischen Gefangenen des Kreml wurden, freikommen. Es ist gut, dass Nadija und inzwischen auch weitere Gefangene endlich wie im Minsker Abkommen vereinbart, ausgetauscht werden.

Die junge Frau, die ich jetzt endlich kennenlernen durfte, hat mich beeindruckt.  Sie hat mich überrascht weil sie, genau wie ich, die Kriegsmüdigkeit der Menschen sieht und ernst nimmt. Der Kummer ihrer Mutter über ihre Gefangenschaft sei der Kummer aller Mütter, deren Kinder in diesem Krieg zu Gefangenen oder Opfern werden. Egal auf welcher Seite. Nadija will ihre Position als Abgeordnete der Rada nutzen, um den Gefangenenaustausch voranzubringen. Sie hat einige gute Ideen. Was sich alle klar mache müssen, die versuchen sich aus der Ferne ein Bild zu machen: diese junge Soldatin ist als Ukrainerin in einen Krieg gezogen worden, den sie und ihr Land nicht wollten. Sie ist, ohne die Akteure des EuroMaidan zu kennen, zu einer politischen Gefangenen geworden, deren Fall auf der ganzen Welt bekannt wurde. Sie ist als Heldin aus dem russischen Gefängnis zurückgekehrt und sagt darüber: mit toten Helden haben die Leute es einfacher. Auch jetzt, als Abgeordnete der Rada hat sie erneut eine Rolle, die sie annimmt jedoch nie geplant hatte. Nachdem sie im Gefängnis russisch gelernt hat, lernt sie jetzt englisch und mit einem Computer umzugehen. Als ich kam, schrieb sie Briefe an Gefangene. Ich wünsche ihr Glück bei der Ankunft in diesem neuen Leben. Ich kenne ihre Schwester, die Architektin und Künstlerin Vira, die sich voll und ganz der Unterstützung für Nadija verschrieben hatte. Es hat mich gefreut zu sehen, wieviel Lebenslust und Neugier die so verschiedenen Schwestern Vira und Nadija verbinden. 
 
 

#ukraine   #demokratie