Rebecca Harms

Mitglied des Europäischen Parlaments in der Grünen/EFA Fraktion 2004-2019

#energie    19 | 03 | 2015

FR-GASTBEITRAG: Eine Energieunion sieht anders aus

Was die Regierungschefs der EU bei ihrem Gipfel verabschieden wollen, besteht vor allem aus den Ideen von gestern.

Von Rebecca Harms

Europäische Energie-Union. Das klingt groß, klingt nach Gemeinsamkeit und mehr Sicherheit. Nach einer guten Idee. Aber die EU-Staats- und Regierungschefs sind dabei, dieses vielleicht seit langem wichtigste Zukunftsprojekt der EU an die Wand zu fahren - auch bei ihrem Gipfeltreffen, das heute in Brüssel beginnt.

EU-Ratspräsident Donald Tusk hatte angesichts der Krise mit Russland eine alte europäische Idee wiederbelebt. Aber weder er noch die anderen Staats- und Regierungschefs denken groß genug. Die Energie-Union droht zu einem leeren Versprechen zu werden oder - noch schlimmer zu einem Vehikel, um den alten Energiemix aus Kohle und Atom weiter zu fördern. Von einer europäischen Energiewende entfernen wir uns immer weiter.

Das sage ich nicht aus der grünen Meckerecke. Schauen wir uns um in der EU: Die polnische Regierung will über die Energie-Union Kohlekraftwerke weiter finanzieren. Besonders bemerkenswert ist, dass diese Kohle in Zukunft sauber sein soll. Eine echte grüne Energiequelle. Polen will auch das erste Atomkraftwerk des Landes bauen. Die Briten haben den Neubau von zwei Reaktoren im südenglischen Atomkraftwerk Hinkley Point angekündigt. Und die EU-Kommission pflastert den Weg für überteuerte Reaktoren, indem sie die Pläne mit einer Revolution ihrer Beihilfe-Politik stützt: Für Hinkley Point werden in einem bisher ungekannten Umfang staatliche Garantien erlaubt. Wie verrückt das ist, zeigt, dass immerhin bereits zwei andere EU-Regierungen, Luxemburg und Österreich, dagegen geklagt haben.

Andere Länder - auch die deutsche Bundesregierung - setzen zwar nicht mehr auf Atomkraft. Aber sie erklären den Import und die Förderung von Gas in allen Varianten - sogar das umstrittene Schiefergas - zum Allheilmittel gegen Abhängigkeit zum Beispiel von Russland. Erneuerbare Energien, Effizienz und Einsparung von Energie werden in den Schlussfolgerungen des europäischen Gipfels nur am Rande erwähnt. Jeder setzt auf das, was bekannt und kurzfristig am vielversprechendsten scheint in seinem Land.

Was den europäischen Staats- und Regierungschefs fehlt, sind Mut, Weitsicht und Konsequenz. Europa braucht mehr Bereitschaft, auf Neues zu setzen, statt den Ideen von gestern nachzuhängen. Die Zukunft gehört den erneuerbaren Energien und der Effizienz. Und eine Europäische Energie-Union kann und muss darauf setzen, den Technologien von morgen zum Durchbruch zu verhelfen. Das braucht der Klimaschutz. Das schafft nachhaltige Innovationen und dauerhafte Beschäftigung. Und erneuerbare Energien sind günstiger: Schon heute können - nach neuesten Studien - Wind- und Photovoltaikanlagen Strom um bis zu 50 Prozent billiger produzieren als Atomkraftwerke.

Für den Reaktor Hinkley Point soll ein Strompreis garantiert werden, der noch in 35 Jahren zwei- bis dreimal über dem heutigen Preis für Windstrom liegt, der an Land produziert wird. Das zeigt, dass Atomkraft längst nicht mehr wettbewerbsfähig ist. Europas Wirtschaft hat eine viel bessere Perspektive, wenn die Regierungen bereit sind, eine echte Energiewende und den Umstieg in die Klimaökonomie zu wagen. Wenn sie dagegen an Atomkraft und Kohle festhalten, verhindern sie über Jahrzehnte Investitionen in klimafreundliche Technologien. Neue Großkraftwerke werden noch 2050 am Netz sein, mit allen Risiken, die sie mit sich bringen.

Der Konflikt mit Russland zeigt, dass wir uns in einer Welt begrenzter und ungleich verteilter Ressourcen aus Abhängigkeiten lösen müssen. Es ist gefährlich, von Staaten abhängig zu sein, die mit Rohstoffen aggressive Politik machen. Was ist das für eine Energie-Union, in der die Regierungen der EU-Mitgliedstaaten nicht einmal bereit sind, mit den Lieferländern von Energie gemeinsam zu verhandeln? Die Mitgliedstaaten haben das mit Russland nicht gemacht. Und absurderweise will auch gerade Deutschland in Zukunft weiter getrennt verhandeln, wenn man dann mit Regierungen aus Aserbaidschan oder Turkmenistan am Tisch setzt. Jeder kocht sein eigenes Süppchen. Stärker wird die EU so mit Sicherheit nicht.

Die EU-Staaten müssen gemeinsam auftreten, wenn sie mit Gazprom oder anderen meist staatlichen Unternehmen Geschäfte machen. Nur so können sie bessere Konditionen aushandeln. Für alle. Zurzeit sind gerade viele zentraleuropäische Länder zu 100 Prozent von russischen Gaslieferungen abhängig. Andere Länder wie Griechenland oder Ungarn beziehen ebenfalls mehr als die Hälfte aus Russland. Das schmälert den Verhandlungsspielraum erheblich. Gemeinsam können wir uns unabhängiger und Energie erschwinglich machen. Dafür muss die Energie-Union eben auf erneuerbare Energien und auf die Reduzierung des Verbrauchs setzen.

Die europäische Zusammenarbeit hat in den 1950 er Jahren mit den Verträgen zu Kohle und Stahl sowie dem Euratom-Vertrag begonnen. Alles hat seine Zeit. Die von Kohle und Atom ist vorbei. Für eine europäische Energie-Union, die die Bezeichnung "Zukunftsprojekt“ verdient, müssen sich die Staats- und Regierungschefs aus den alten Strukturen lösen, sich vom mächtigen Einfluss der Energiekonzerne lossagen und mutig vorangehen. Sonst scheitert nicht nur der Klimaschutz. Sie setzen auch die Zukunft der Energiewirtschaft und die Versorgungssicherheit in der EU aufs Spiel. Erderwärmung, begrenzte Ressourcen und kriegerische Konflikte: Wie viele Argumente brauchen die Dame und Herren denn noch? Herr, schmeiß’ ein bisschen Mut auf Brüssel, Berlin, Warschau und Paris!

Der Gastbeitrag erschien am 19. März 2015 in der Frankfurter Rundschau.


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