Die Niederländer lehnen das EU-Ukraine-Abkommen ab? Egal. Für die Grüne Rebecca Harms war das Referendum ohnehin „abenteuerlich“. Ein Interview mit der Tageszeitung. Erschienen am 9.4.2016, geführt von Tobias Schulze
Frau Harms, sie haben dem Kölner Stadtanzeiger gesagt, dass sie Volksabstimmungen zu EU-Fragen unglücklich finden. Für eine Grünen-Politikerin ...
Genau genommen habe ich nur gesagt: Wenn man Volksabstimmungen über Themen will, die alle EU-Bürger betreffen, können die nicht nur in einzelnen Ländern stattfinden. Wenn man solche Volksabstimmungen wirklich will, sollte man sie EU-weit durchführen.
Was ist falsch daran, in einzelnen Staaten abzustimmen?
Die zweite Frage ist, wann man eine Abstimmung macht. Wenn Entscheidungen nach jahrelangen Vorbereitungen umgesetzt werden – oder bevor man einen solchen Prozess startet? Außerdem muss sichergestellt werden, dass den Wählern klar ist, worüber sie abstimmen. Die Schweiz kümmert sich darum sehr sorgfältig, für das Referendum in den Niederlanden kann man das nicht behaupten.
Gehen wir ihre Punkte Schritt für Schritt durch. Zunächst noch mal zur Frage, ob einzelne Länder über EU-Abkommen abstimmen sollen ...
Ich bin dagegen. Wenn sich die Türkei zum Beispiel doch wieder besser entwickelt und irgendwann nach langen Verhandlungen die Entscheidung fällt, sie in die EU aufzunehmen – soll der Beitrittsprozess dann in einer einzelnen Nation angehalten werden können?
Führt man stattdessen eine EU-weite Volksabstimmung durch …
Wenn, dann muss man europaweit abstimmen. Sonst schafft man zwei Klassen von Bürgern. Für mich stellt sich auch darüber hinaus die Frage, wie sich die repräsentative Demokratie zu Elementen der direkten Demokratie verhält. Ich glaube nicht daran, dass durch Volksabstimmungen in der EU automatisch alles besser wird.
Gehen wir dennoch einmal ihr Szenario durch: Die Bürger stimmen europaweit über einen Türkei-Beitritt ab und europaweit …
Ich habe das anders gesagt. Wenn man Volksabstimmungen zu europäischen Themen will, dann müssen die europäisch sein. Und ich habe nur das Beispiel Türkei als ein mögliches genannt.
Ich möchte meine Frage trotzdem beenden: Gäbe es in so einer Volksabstimmung europaweit eine Mehrheit für den Beitritt, in einzelnen Ländern aber eine Mehrheit dagegen, dann …
Das muss man vorher alles klären. Müssen das qualifizierte Mehrheiten sein? Muss es die Mehrheit der Bürger sein? Oder die Mehrheit der Staaten? Ich habe keine Lust, mit Ihnen alle diese Einzelheiten durchzudiskutieren. Aber ich bestehe darauf, dass das sorgfältig geklärt wird.
Und was ist ihr persönlicher Standpunkt? Wie sollten die Regeln Ihrer Meinung nach aussehen?
Wir müssen uns erst darüber verständigen, ob es europäische Abstimmungen geben soll. Dann müssen wir über die Regeln sprechen. Ich bin mir noch nicht sicher, wie man das regeln sollte.
Dann kommen wir zu Ihrem zweiten Punkt: Sie kritisieren den Zeitpunkt der Abstimmung in den Niederlanden. Was war daran falsch?
Die niederländische Regierung war wie alle EU-Regierungen in die Verhandlungen des Assoziierungsabkommens mit der Ukraine einbezogen. Es wurde nicht außerhalb des Europäischen Rates beschlossen und umgesetzt. Auch die Parlamente haben sich immer wieder mit diesem Abkommen beschäftigt. Wenn man es nun in allen Mitgliedsstaaten ratifiziert hat und die Implementierung schon läuft, sollte man es nicht durch ein unverbindliches Referendum stoppen, dass man mit 300.000 Unterschriften erzwingen kann. Ich habe immer gesagt, dass ich das abenteuerlich finde.
Was wäre der richtige Zeitpunkt?
Die niederländische Regierung muss sich fragen, ob Sie in ihrem Land ausreichend und früh genug für das Abkommen eingetreten ist, das sie in Brüssel mit auf den Weg gebracht hat. Das ist eine der größten Schwächen der europäischen Politik: Nationale Politiker treffen in Brüssel Entscheidungen, vertreten sie zu Hause aber nicht. Aber selbst, wenn sich das ändern sollte, bliebe ich bei meinen Zweifeln daran, ob man über europäische Abkommen national entscheiden sollte.
Hätten die Abstimmung EU-weit stattgefunden: Was wäre der richtige Zeitpunkt gewesen?
Auf jeden Fall nicht, wenn man schon mit der Ukraine an der Implementierung arbeitet. Das Abkommen wurde lange vorbereitet und ich finde, dass der jetzige Zeitpunkt gegenüber der Ukraine und seinen Bürgern nicht vertretbar ist.
Und wie sollte die niederländische Regierung jetzt mit dem Ergebnis umgehen?
Das müssen sie die niederländische Regierung fragen. Auf der einen Seite sollte man die niederländischen Bürger in dieser Frage nicht einfach vor den Kopf stoßen. Auf der anderen Seite haben auch die ukrainischen Bürger Ansprüche auf der Grundlage dessen, was man mit ihrer Regierung verhandelt hat.
Aber bekennt sich die niederländische Regierung trotz des Referendums zum Abkommen, könnte das der demokratischen Legitimation der EU noch weiter schaden.
Ich weiß nicht. Ich glaube, auch die Niederländer haben Diskussionsbedarf über ihre Referenden und darüber, ob sie an ihren derzeitigen Spielregeln festhalten wollen. Die Kritik an der Art, wie dort abgestimmt wird, gibt es nicht erst seit gestern. Dass das in deutschen Diskussion nicht vorkommt, finde ich ein wenig verrückt.
Dieses Interview, geführt von Tobias Schulze, erschien am 9.4.2016 in der Tageszeitung
http://www.taz.de/EU-Politikerin-Harms-zu-Plebisziten/!5293840/