Rebecca Harms

Mitglied des Europäischen Parlaments in der Grünen/EFA Fraktion 2004-2019

#verbraucherschutz    27 | 02 | 2013

Der Pferdefleisch-Skandal - Grüne Forderungen für die Reaktion auf EU-Ebene

Die Entdeckung von Pferde- und Schweinefleisch in verarbeiteten Lebensmitteln, die als Rindfleischprodukte beworben wurden, wirft ernsthafte Fragen über das Europäische Lebensmittelversorgungssystem auf. Neben unmittelbaren Fragen über die anzuwendenden Regeln, ihre Durchsetzung und die Verantwortung für Kontrollen, müssen wir die Gesetzgebung in der Landwirtschaft und Nahrungsmittelversorgung in Europa insgesamt betrachten.

Strengere Regeln und härtere Sanktionen können für weniger Betrug sorgen. Doch zugleich stellen sich grundsätzlichere Fragen über unsere Landwirtschaft und unsere Nahrungsmittelproduktion, die im Kontext der derzeit stattfinden Reform der Gemeinsamen Landwirtschaftspolitik in Europa besonders relevant sind.

EINHALTUNG VON QUALITÄTSSTANDARDS BEI LEBENSMITTELN

Kontrollen, die die Einhaltung von EU-Lebensmittelkennzeichnungsgesetzen prüfen sowie Sanktionen bei Fehlverhalten liegen in der Verantwortung der Mitgliedstaaten. Die Mitgliedstaaten müssen das Ausmaß des Skandals insgesamt untersuchen: Wo kommt das falsch gekennzeichnete Fleisch her, wie und warum wurde es falsch gekennzeichnet? Wenn Betrug vorliegt, muss es zu strengen und abschreckenden Sanktionen durch die verantwortlichen Behörden kommen. Über den aktuellen Skandal hinaus müssen strikte und regelmäßige Kontrollen sowie strenge Sanktionen entlang der Lebensmittelkette etabliert werden, um Betrug zukünftig entgegenzuwirken.

Das Lebensmittel- und Veterinäramt (FVO) der EU-Kommission hat ein Mandat,  Rechnungsprüfungen und Kontrollen durchzuführen, um die Einhaltung von EU- Vorschriften und -Regelungen zu überprüfen. Das FVO muss gestärkt und seine Kompetenzen und Möglichkeiten für die notwendigen Kontrollen ausgeweitet werden. Außerdem muss die Einhaltung der Vorschriften zwischen den EU-Staaten besser koordiniert werden. Aus den Ergebnissen der Arbeit des FVO müssen politische Konsequenzen gezogen werden, unter demokratischer Überwachung des Europäischen Parlaments und der nationalen Parlamente. Mit dem Ziel, dass Probleme, die das Amt anspricht, auch tatsächlich und vollständig angegangen werden.

Die EU-Kommission plant, in diesem Jahr die Hygiene-Gesetzgebung der EU zu überarbeiten ("Hygiene-Paket"). Vermutlich wird sie die wirtschaftlichen Akteuren für Kontrollen in der Lebensmittelkette selbst verantwortlich machen, anstatt öffentlicher Behörden, so wie es derzeit der Fall ist. Die Lebensmittelindustrie selbst für die Einhaltung von Regeln verantwortlich zu machen, ist definitiv kein erfolgversprechender Ansatz. Denn das Hauptinteresse der Industrie ist die Profitmaximierung bei gleichzeitiger Minimierung der Kosten, und nicht die Lebensmittelsicherheit. Dieser Skandal zeigt eindeutig, dass die Lebensmittelkette nicht etwa weniger unabhängige Kontrollen braucht, sondern mehr offizielle und unabhängige Kontrollen. Sie ist sicher nicht in der Lage, sich selbst zu regulieren.

TRANSPARENZ UND INFORMATION ÜBER LEBENSMITTEL

Während die Einhaltung von bestehenden EU-Verordnungen zur Lebensmittelsicherheit und der Information der Verbraucher über Lebensmittel eindeutig verbessert werden muss, gibt es auch deutliche Unzulänglichkeiten in der EU-Gesetzgebung im Hinblick auf die Information der Verbraucher und die Kennzeichnung der Produkte. Und zwar insbesondere mit Blick auf Fleisch und Fleischprodukte.

Die Grünen haben stets Druck gemacht für ein ambitioniertes und umfassenderes Kennzeichnungssystem für alle Fleischarten, inklusive für Fleisch in verarbeiteten Produkten und für andere empfindliche Waren wie Milch und Milchprodukte. Die Kommission muss nun Vorschläge zur Überarbeitung der EU-Verordnung betreffend der Information der Verbraucher über Lebensmittel machen, insbesondere eine ambitionierte Herkunftsangaben für alle Fleischprodukte, verarbeitete Fleischprodukte und Zutaten (inklusive Geburts-, Zucht- und Schlachtort). Derzeit gibt es Herkunftsangaben nur für unverarbeitetes, frisches Rindfleisch, nicht für verarbeitetes Rindfleisch oder jede andere Form von Fleisch. Ein Label für regionale Landwirtschaft und den Direktvertrieb, so wie ursprünglich geplant, würde auch für mehr Transparenz und Sicherheit bei den VerbraucherInnen sorgen.

REFORM DER LANDWIRTSCHAFT UND DES LEBENSMITTELSYSTEMS

Dieser Skandal wirft ernsthafte Fragen bezüglich der Mängel des derzeit sehr konzentrierten und globalisierten Lebensmittelversorgungssystems auf, das auf hochkomplizierten Versorgungsketten basiert, in welchen Wirtschaftsakteure Zutaten für verarbeitete Lebensmittel immer dort kaufen, wo es am billigsten ist. Netzwerke von Vertrieben, Hersteller von Tiefkühlkost und Zulieferbetriebe in der fleischverarbeitenden Industrie machen das System immer undurchsichtiger. Dieser Skandal macht deutlich, dass wir ein sehr anfälliges Lebensmittelversorgungssystem haben, dessen Integrität an vielen Stellen gefährdet ist und das jederzeit zusammenbrechen kann.

Letztlich müssen wir eine grundsätzliche Reform unseres Landwirtschafts- und Lebensmittelsystems angehen. Entsprechend müssen wir regionale, transparente und kurze Versorgungsketten, die Lebensmittel von hoher Qualität produzieren, bevorzugt fördern. Das ist besonders relevant im Zusammenhang mit der derzeit verhandelten Reform der Gemeinsamen Agrarpolitik.

Das Europäische Parlament hat bald die Gelegenheit, zu handeln: Mit der anstehenden Abstimmung über die Reform der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP). In diesem Zusammenhang sind die Grünen Vorschläge für Cross-Compliance- Regelung zur Einhaltung von Transparenz in der Lebensmittelkette und Lebensmittelsicherheit besonders wichtig. Sie würden sicherstellen, dass die Gemeinsame Agrarpolitik die Produktion von qualitativ hochwertigen Lebensmitteln fördert. Die Grüne Fraktion hofft, dass viele Europaabgeordnete aus anderen Fraktionen spätestens jetzt die Notwendigkeit sehen unseren Ansatz zu unterstützen (insbesondere zu Transparenz, der Kennzeichnung von Tieren, der Meldepflicht im Fall von BSE und dem Verbot, Tiere mit Hormonen zu füttern; aber auch zu anderen Umweltvorschriften wie Grundwasserverschmutzung, Bodenerosion und ein Mindestmaß an landschaftspflegerischen Instandhaltungsmaßnahmen).

Eine Garantie für die Förderung der ländlichen Entwicklung ist ebenfalls unverzichtbar, um kurze Transportwege für die Lebensmittelversorgung und lokale Qualitätsproduktion zu stärken. Derzeitige Entwürfe würden dafür sorgen, dass die ländliche Entwicklung gegenüber nicht nachhaltigen Direktzahlungen und verschwenderischen Versicherungs- und Risikomanagementprogrammen benachteiligt würde. Das muss sich ändern.


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