Als meine Fraktion sich dafür stark machte, dass das Europaparlament einen Untersuchungsausschuss zum Dieselskandal einsetzt, konnten wir die Entwicklung, die der Skandal noch nehmen würde, nicht absehen. Zunächst war nur vom VW-Skandal die Rede, doch mittlerweile ist klar, dass viel mehr Automobilhersteller betroffen sind. Die Folgen von Betrug und fragwürdiger Gesetzesauslegung sind immens. Städte und Gemeinden können Luftqualitätsstandards nicht einhalten ohne Fahrverbote zu verhängen, die Menschen in den europäischen Ballungsräumen leiden unter schlechter Atemluft und große Automobilkonzerne geraten ins Wanken. Unsere Aufgabe war es herauszufinden, was bei der Durchsetzung der europäischen Gesetzgebung schiefgegangen war. Im Laufe des letzten Jahres haben wir Experten, EU-Kommissionsbeamte, nationale Aufsichtsbehörden und Minister aus etlichen Mitgliedsstaaten befragt. Wir haben Automobilhersteller und ihre Zulieferer gehört und viele Akten gewälzt. Nach all den Anhörungen verabschiedete der Ausschuss mit sehr großer Mehrheit einen Bericht, der Behördenversagen und sogar Gesetzesverstöße von Seiten nationaler und europäischer Behörden anprangert.
Angesichts der Konsequenzen, die der Abgasbetrug der Automobilindustrie für Luftqualität und die Gesundheit der Menschen und letztlich auch für die Automobilindustrie selbst hat, ist es wichtig zu wissen, an welchen Stellen Fehler gemacht wurden oder wo sogar wissentlich Probleme unter den Teppich gekehrt wurden. Doch noch wichtiger ist, was man mit diesem Wissen macht. Der Ausschuss hat deshalb neben den Schlussfolgerungen aus den Anhörungen auch Empfehlungen für die Zukunft verabschiedet, über die in dieser Woche auch im Plenum abgestimmt wurde. Es wird unter anderem empfohlen die Verantwortung für Fahrzeugemissionen in der Kommission in die gleichen Hände zu legen wie die Verantwortung für Luftqualität - nämlich die des Umweltkommissars. Bislang ist die Industriekommissarin für die Fahrzeuge zuständig. Der Untersuchungsausschuss hat festgestellt, dass die geteilte Zuständigkeit eine konsequente Bearbeitung der Probleme nach Informationen über Emissionsüberschreitungen erschwert hat. Es wird auch empfohlen Überraschungstests nach Vorbild der amerikanischen Behörden durchzuführen, um die Verwendung von Abschaltmechanismen zu verhindern. Außerdem soll der sogenannte „Konformitätsfaktor“ der bei Straßentests einen höheren NOx-Ausstoß erlaubt als in der ursprünglichen Gesetzgebung vorgesehen, bis spätestens 2021 entfallen.
Weniger erfreulich ist jedoch, dass das Parlament sich nicht durchringen konnte, eine unabhängige europäische Agentur zur Marktüberwachung zu fordern. Trotz der Erkenntnis, dass in den Mitgliedsstaaten weggesehen wurde, wenn Fehlverhalten der heimischen Industrie zu vermuten war, fehlte am Ende der Wille zur Konsequenz.
Dass in dieser Woche ebenfalls über das neue Verfahren zur Typenzulassung von Fahrzeugen diskutiert und abgestimmt wurde, hätte dem EU-Parlament die Möglichkeit gegeben die Lehren aus diesem Skandal direkt in der Gesetzgebung zu verankern. Angesichts all der Informationen über die Schwächen des Zulassungssystems, die den Dieselskandal ermöglicht haben, ist es nicht nachvollziehbar, dass sich die Mehrheit aus liberalen und christdemokratischen Abgeordneten gegen eine europäische Behörde zur Marktüberwachung aussprach. Das häufig vorgebrachte Argument, dass dies bloß zusätzliche EU-Bürokratie verursacht, mag zwar in Zeiten zunehmender EU-Skepsis populär sein, trägt in diesem Fall allerdings nicht. Die gemeinsame Forschungsstelle der EU in Ispra hat bereits die technischen Möglichkeiten und die nötige Infrastruktur, um die neuen Aufgaben zu übernehmen und müsste lediglich unabhängig geführt werden. Die Typenzulassung wäre nach wie vor in der Hand der Mitgliedsstaaten. Doch unabhängige Kontrollen und die Möglichkeit der Behörde Testergebnisse zu veröffentlichen, würden mehr Transparenz schaffen und eine Wiederholung eines derartigen Skandals verhindern. Eine verhältnismäßig kleine Veränderung könnte eine große positive Wirkung haben und für die bessere Durchsetzung von europäischer Gesetzgebung im Automobilbereich sorgen. Es ist bedauerlich, dass die Abgeordneten, die sich im Untersuchungsausschuss intensiv mit dieser Frage auseinandersetzen mussten und verstanden haben, wie wichtig dieser Schritt wäre, ihre Kollegen in ihren Fraktionen nicht davon überzeugen konnten. Die Nähe zwischen Autoindustrie und Politik ist nicht nur in Berlin oder Paris zu groß sondern auch in Brüssel. Aus dem großen Schaden, den der Dieselbetrug angerichtet hat sind leider noch nicht alle klüger geworden.