Rebecca Harms

Mitglied des Europäischen Parlaments in der Grünen/EFA Fraktion 2004-2019

#kohle    17 | 09 | 2009

Investitionsschutz-Klageverfahren Vattenfall AB vs. Bundesrepublik Deutschland

Parlamentarische Anfrage vom 17. September 2009

 

Vattenfall AB ist zu 100 % Eigentum des Königreichs Schweden. Ein Unternehmen der Vattenfall-Gruppe hat die Erlaubnis zum Bau und Betrieb eines Kohlekraftwerks in Hamburg-Moorburg. Die für den Betrieb erforderliche Kühlung soll mit Wasser aus der Elbe erfolgen. Gegen Auflagen und Einschränkungen der wasserrechtlichen Erlaubnis hat das Unternehmen beim zuständigen Verwaltungsgericht Klage eingereicht. Aus der Presse wurde bekannt, dass Vattenfall beim International Centre for Settlement of Investment Disputes (ICSID) der Weltbank die Einrichtung eines Schiedsgerichts im Rahmen des Vertrags über die Energiecharta (Energy Charter Treaty) anstrebt und von Deutschland Schadenersatz in Höhe von rd. 1,5 Mrd. EUR wegen Verzögerungen im Genehmigungsverfahren und Mehrkosten durch Schutzbestimmungen in der Umsetzung der Wasserrahmen- (2000/60/EG(1)) und FFH-Richtlinie (92/43/EWG(2)) der EU fordert. Hierzu frage ich die Kommission:

 

1. Wurde die Kommission — und wenn ja, von wem — über das Schiedsverfahren in Kenntnis gesetzt?

 

2. Besteht für die EU als Vertragspartner des Vertrags über die Energiecharta (Energy Charter Treaty) die Möglichkeit, sich an dem anhängigen Schiedsverfahren zu beteiligen? Wenn ja, beabsichtigt die Kommission dies zu tun, ggf. mit welchem Ziel?

 

3. Welche Position hat die Kommission vor dem Hintergrund von Artikel 292 EGV zur Zulässigkeit von völkerrechtlichen Schiedsverfahren, die die Umsetzung sekundären Gemeinschaftsrechts betreffen, innerhalb der EU allgemein und insbesondere auf dem Gebiet des Investitionsschutzes, insbesondere wenn sich das klagende Unternehmen im Eigentum eines Mitgliedstaates der EU befindet?

 

4. Hat die Kommission geprüft, ob die Duldung des Vorgehens der Vattenfall AB durch das Königreich Schweden einen Verstoß gegen die Wasserrahmen- und FFH-Richtlinie darstellt? Wenn ja, mit welchem Ergebnis? Wenn nein, warum nicht?

 

5. Gefährden Investitionsschutzabkommen und die daraus folgende Sorge vor Regressforderungen nach Auffassung der Kommission die Umsetzung europarechtlich gebotener Umwelt- und Klimaschutzmaßnahmen? Erwägt die Kommission in diesem Bereich aktiv zu werden?

 

6. Wie bewertet die Kommission die Situation, dass das Land der Ratspräsidentschaft durch sein Unternehmen Vattenfall AB eine völkerrechtliche Beurteilung der Anwendung des Europarechts durch ein anderes Mitgliedsland erzwingt?

 

(1) ABl. L 327 vom 22.12.2000, S. 1.

(2) ABl. L 206 vom 22.7.1992, S. 7.

 

 

Antwort von Herrn Barroso vom 28. Oktober 2009 im Namen der Kommission

 

Die Kommission ist durch Medienberichte auf dieses Schiedsverfahren aufmerksam geworden.

 

Nach Artikel 26 Absatz 1 des Energiechartavertrags kann der Investor einer Vertragspartei gegen eine andere Vertragspartei Klage erheben. Beschließt ein Investor, einen EG-Mitgliedstaat zu verklagen, so ist die Europäische Gemeinschaft nicht automatisch an diesem Rechtsstreit beteiligt. Sie muss ihre Beteiligung als Nicht-Streitpartei sogar beantragen. Es ist Sache des Schiedsgerichts, über einen entsprechenden Antrag zu entscheiden. Bisher hat die Kommission in zwei Fällen, die den Energiechartavertrag betrafen, die Teilnahme beantragt (AES/Ungarn und Electrabel/Ungarn). Dabei ging es um die Anwendung von Wettbewerbsvorschriften durch Ungarn. Die Gerichte gestatteten es der Kommission, zur Rechtsprechung des Gerichts und zur Auslegung des EG-Rechts und seiner Verbindung zum Energiechartavertrag Stellung zu nehmen.

 

Zum gegenwärtigen Zeitpunkt sind der Kommission keine Einzelheiten der Forderungen von Vattenfall AB bekannt. Daher kann auch nicht mit Sicherheit festgestellt werden, ob dabei die Zuständigkeit der Gemeinschaft berührt wird, insbesondere die Auslegung und Anwendung der beiden genannten Richtlinien. Die deutsche Regierung hat der Kommission zugesichert, dass ihr alle erforderlichen Informationen übermittelt werden, sobald der Investor die vollständige Klageschrift eingereicht hat. Auf der Grundlage dieser Informationen wird die Kommission entscheiden, ob weitere Maßnahmen erforderlich sind, um dem Gemeinschaftsrecht und den Befugnissen der Gemeinschaft Geltung zu verschaffen.


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