Rebecca Harms

Mitglied des Europäischen Parlaments in der Grünen/EFA Fraktion 2004-2019

#atom    28 | 03 | 2013
Blog

Licht am Ende des Tunnels - Interview zum Endlagersuchkompromiss

Lüneburg – Ein echter Neuanfang oder alter Wein in neuen Schläuchen? Ein Kompromiss zwischen dem Bund und Niedersachsen soll eine Ära von fast vier Jahrzehnten der Hinterzimmerabsprachen zu einem Atomüll-Endlager endgültig beenden. Über eine Enquetekommission soll die Gesellschaft bei der Suche nach einem Ort für den gefährlichen Müll mitbeteiligt sein. Rebecca Harms, Ikone des Widerstands im Wendland, glaubt: “Das erhöht die Chancen für Gorlebengegner.”

Sind Atomkraftgegner so sehr an Stillstand gewöhnt, dass sie “Bewegung in der Endlagerfrage” bejubeln, obwohl eigentlich die Parteien nur ihre Wahlkampferstarrung gelockert haben?

Rebecca Harms: Der Kompromiss zwischen dem Land Niedersachsen und dem Bund läuft darauf hinaus, dass noch in dieser Legislaturperiode versucht wird, ein noch mal geändertes Endlagersuchgesetz zu verabschieden. Anders als im bisherigen Entwurf soll z.B. der Rechtsschutz möglicher Betroffener gestärkt werden. Neu verankert werden soll eine Enquetekommission, die alle Fragen, Zweifel und Herausforderungen der tiefen geologischen Endlagerung bearbeiten soll. Grund zum Jubel ist das nicht. Der Kompromiss ist aber geeignet, einen Neuanfang vorzubereiten. Vor allem die Enquetekommission birgt nach den Absprachen hinter verschlossenen Türen und jahrzehntelanger Ignoranz die große Chance, sich über das Problem Atommüll und seine Lösung fundiert zu verständigen. Ein Neubeginn setzt die Aufarbeitung der Fehler von 35 Jahren Endlagersuche voraus – Fehler, die zum Asse-Desaster führten. Bewertet werden müssen auch die Ergebnisse der Endlagerforschung anderer Länder. Wenn ernsthaft versucht wird, einige der grundsätzlichen Fragen zur Endlagerung in einem großen öffentlichen Prozess zu beantworten oder einer Klärung näher zu bringen, ist ein Neubeginn möglich. Bleibt man dagegen in der Spur der letzten eineinhalb Jahre und dem Gesetz, das zwischen Staatskanzleien und dem Bundesumweltministerium ausgehandelt wurde, ist die Wahrscheinlichkeit sehr groß, dass es nicht um einen Neubeginn, sondern um die Durchsetzung Gorlebens geht.

Von der weißen Landkarte ist der Standort nicht verschwunden. Ist das Aus für das Endlager Gorleben nähergerückt oder das Endlager?

Harms: Vor zu viel Optimismus muss ich warnen. Nach mehr als drei Jahrzehnten Auseinandersetzung und Konflikt um Gorleben bin ich realistisch. Ich weiß, wie schwer es ist, bereits geschaffene Tatsachen zu korrigieren. Ich kenne aber auch die geologischen Befunde zu Gorleben und weiß, warum der Standort ungeeignet ist. Die Chance, Gorleben zu kippen, wird größer nach einer qualifizierten Beschäftigung mit den geologischen Mängeln und den Defiziten der Standortauswahl in der Enquetekommission. Der Kompromiss bietet also auch eine Chance für die Gorleben-Gegner.

Besteht die Gefahr, dass Länder oder Atomwirtschaft auf bestehende Verträge pochen und so die Untersagung der weiteren Einlagerung von Castoren im Zwischenlager torpedieren?

Harms: Technisch dürfte die Zwischenlagerung der Castoren in anderen Lagern kein Problem sein. Die neuen Standortzwischenlager sind zum Teil noch stabiler, da sie gegen Flugzeugabstürze ausgelegt sind. Politisch ist dies eine Herausforderung, aber eine lösbare. Entlang der bisherigen Verhandlungen zum Endlagersuchgesetz wurde betont, dass andere Bundesländer sich für Endlagerstandorte öffnen wollten. Diese Offenheit könnte mit der Übernahme von Müll aus dem Ausland zur Zwischenlagerung anfangen. Die Länder, aber auch die Atomwirtschaft könnten so ernsthaftes Interesse am Neubeginn untermauern.

Was nützt eine Kommission, deren Empfehlungen für die Endlagersuche nicht bindend sind?

Harms: Die Ergebnisse der Enquetekommission können nicht bindend sein, denn der Gesetzgeber darf nicht ausgehebelt werden. Wichtig ist, dass die Kommission und die Neubewertung des Gesetzes unter Berücksichtigung ihrer Ergebnisse im Gesetz verankert werden. Der bessere Weg wäre, erst die Beratungen der Enquetekommission abzuwarten und dann das Gesetz zu formulieren. Aber dafür gibt es bis jetzt keine Mehrheit in Bund und Ländern.

Stiehlt sich die Politik aus der Verantwortung, indem sie Interessenkonflikte in eine Kommission auslagert?

Harms: Nein, denn hier wird nicht ein Konflikt ausgelagert sondern neu und angemessen zur Debatte gestellt. Die Jahrhundertaufgabe Endlagerung kann nicht stellvertretend durch die Politik gelöst werden. Es ist unbedingt erforderlich, dafür einen gesellschaftlichen Konsens zu suchen. Die breite Einbeziehung der Gesellschaft über die Enquetekommission halte ich für einen großen Fortschritt und werde mich dafür einsetzen, dass eine gute Zusammenarbeit zwischen Politik, Wissenschaft, Zivilgesellschaft und Industrie gelingt.

Transparenz im Verfahren und gesellschaftliche Beteiligungen in der Kommission lösen keinen einzigen Interessengegensatz. Werden diese Faktoren überschätzt?

Harms: Noch haben nicht viele Länder Erfahrungen mit der Vorbereitung einer Endlager-Standortsuche gemacht. Was man aber in Schweden oder in der Schweiz lernen kann, ist, dass es überhaupt nur eine Chance auf die Zustimmung der Bürger zur Übernahme dieser immensen Verantwortung und Bürde gibt, wenn man wesentliche Fragen zur Endlagerung und zum Auswahlverfahren gemeinsam und nachvollziehbar klärt. Das steht auch nicht im Widerspruch zu dem Anspruch, dass die Wissenschaft die Basis liefern muss. Aber die Wissenschaft muss sich in der Debatte erklären und behaupten. Ich denke nicht, dass die Gesellschaft bei jedem Thema umfassend eingebunden werden will. Ich halte es aber für ausgeschlossen, ein Endlager in Deutschland zu finden ohne umfassende Mitsprache in einem von A bis Z transparenten und auch korrigierbaren Verfahren.

Zweigeteilte Frage: Welche Grundsatzfragen sind in Bezug auf Gorleben noch nicht gestellt worden, die die Kommission klären soll? Und: Besteht die Gefahr, dass sich die Kommission in lauter Vergangenheitsbewältigung verzettelt?

Harms: Systematisch geklärt werden muss zum Beispiel die Frage, ob wir ein Endlager wollen, in dem der Atommüll rückholbar bleibt. Oder reicht es, die Wiederauffindbarkeit des Atommülls zu gewährleisten? In Deutschland wurde früh und ohne Debatte gegen Rückholbarkeit entschieden. Klärt man diese Frage nicht verständlich, dürfte man spätestens bei der Benennung von Suchregionen mit der Forderung konfrontiert werden, dass der Atommüll, wenn überhaupt, dann nur rückholbar gelagert werden soll. Rückholbarkeit scheint wie ein Versprechen, Fehler wieder gut machen zu können. Dabei müssen Wissenschaftler heute zugeben, dass dieses Versprechen schwer erfüllbar ist, dass es auch nur für eine relativ kurze Zeit gegeben werden kann. Zur zweiten Frage: Rekapituliert man die Ergebnisse des Untersuchungsausschusses Asse, kann man nicht zu dem Schluss kommen, dass wir uns verzetteln, wenn wir versuchen, Lehren aus alten Fehlern zu ziehen. In der Asse lagert weniger als ein Hundertstel des radioaktiven Materials, das ein durchschnittlicher Castor in Gorleben enthält. Vergegenwärtigt man sich die Schwierigkeiten, die wir in der Asse beim Korrigieren der dort gemachten Fehler haben, ist klar, welche Sorgfalt beim Umgang mit hochradioaktivem Material geboten ist.

Müsste nicht in Granit und Ton ähnlich aufwendig erkundet werden wie im Wendländer Salz, um echte Vergleichswerte zu bekommen?

Harms: Eine ergebnisoffene Suche muss alle geeigneten Geologien umfassen. Aus den Laboren untertage in Schweden und der Schweiz kommen relevante Ergebnisse zu Ton und Granit. International werden Ton, Granit und Salz verfolgt. In Deutschland wurde ohne wissenschaftliche Begründung allein Salz betrachtet. Auch das muss sich ändern.

Wie schwer wiegt das Argument von 1,6 Milliarden bereits in Gorleben verbauten Euro?

Harms: Einerseits ist das eine riesige Summe. Andererseits kostet die Sanierung der Asse ein Vielfaches dieser Summe. Und wie bewertet man die Gefahr für Mensch und Umwelt? Wer wider besseren Wissens in Gorleben das Endlager weiterverfolgt, sollte sich bewusst sein, welche Folgen daraus erwachsen können.

Gesetzt den Fall, eine Erkundung auch durch kritische Wissenschaftler würde das Ergebnis erbringen, Gorleben wäre als Standort geeignet. Gäbe es irgendeine Konstellation, die das Wendland akzeptieren würde?

Harms: Nach den Kriterien der Salzstudie aus den Neunziger Jahren, die noch von Umweltminister Töpfer in Auftrag gegeben und unter Ministerin Merkel abgeschlossen wurde, war Gorleben weit von der ersten Reihe geeigneter Salzstöcke entfernt. Wer nach dem bestgeeigneten Salzstock sucht, muss deshalb eigentlich Gorleben aufgeben. Da dieses Vorgehen keine Mehrheit hat, empfehle ich, die Rolle Gorlebens nach Abschluss der Enquete zu entscheiden. Die Kommission muss einen Vorschlag für die Konzeption des Endlagers und für ein Such- und Auswahlverfahren erarbeiten. Das Verfahren so zu entwickeln, dass wissenschaftliche Anforderungen und das Vertrauen der Bürger gewährleistet sind, ist aus meiner Sicht die Hauptaufgabe der Kommission.

Was, wenn die Kriterien der Kommission und neue Expertisen einen Granitstandort in Bayern nahelegen – und der Widerstand dort nicht weniger stark ist als in Gorleben?

Harms: Die einzige Chance, dass nicht alles am Widerstand scheitert, ist, auf Verständigung und Transparenz zu setzen. Dazu gehört, dass jedes auftretende Problem, jede Frage, jeder Zweifel transparent und glaubhaft geklärt wird. Ansonsten wird der Widerstand an möglichen Standorten härter sein als wir ihn in Gorleben schon erlebt haben.

Verheben wir uns nicht generell mit einer Technologie, die ein Endlager erfordert, dass eine Million Jahre sicher sein soll?

Harms: Lange Jahrzehnte habe ich die Ansicht vertreten, dass die tiefengeologische Lagerung von Atommüll besser sei als die oberirdische Langzeitlagerung – auch “Hüte-Konzept” genannt. Heute betonen Wissenschaftler, dass immer mehr Fragen auftauchen, je intensiver sie in Untertagelaboren forschen. Bevor eines Tages die Endlagerung beginnen kann, sollten wir uns sicher sein, allen Fragen ausreichend nachgegangen zu sein. Ich bin mir aber nach den langen Jahren der Beschäftigung mit diesem verfluchten Thema bewusst, dass der mögliche Beginn der Endlagerung kaum vor 2070 wahrscheinlich ist. Lange nach mir also. Weil es also kurzfristige Lösungen nicht geben kann, sind wir nach 35 Jahren Stümperei zu verantwortlichem Handeln verpflichtet. Die Enquetekommission eröffnet dafür eine Chance, die wir nutzen sollten.

Das Interview führte Joachim Zießler. Erschienen am 28.03.2013 in der Lüneburger Landeszeitung.


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