Rebecca Harms

Mitglied des Europäischen Parlaments in der Grünen/EFA Fraktion 2004-2019

#tschernobyl    21 | 04 | 2011

„Wir wollten damals nicht recht haben“

Die Fraktionschefin der Grünen im Europaparlament, Rebecca Harms,hält sich anlässlich des 25. Jahrestags des Super- GAU zu Gedenkveranstaltungen in Kiew auf. Von Tschernobyl hat die Welt nicht gelernt, sagt sie. Aber nun womöglich von Fukushima.

 

VON PETRA RÜCKERL

 

Neue Presse (NP): Wie haben Sie den Super-GAU vor 25 Jahren erlebt?

 

Harms: Ich war damals Mitarbeiterin für die Abgeordnete Undine von Blottnitz im Europaparlament. Wir haben damals schon für die Antiatombewegung gearbeitet, aber als die Nachrichten kamen, waren wir einfach fassungslos. Wir hatten zwar viele Jahre lang vor einem solchen Ereignis gewarnt,aber als es dann eintrat,wollten wir nicht recht haben.

 

NP: Hat die Welt von Tschernobyl gelernt?

 

Harms: Zum 25. Jahrestag reden wir über Fukushima, und das heißt, dass die Welt die Lektion aus Tschernobyl nicht gelernt hat.

 

NP: Die Grünen profitierten politisch von Tschernobyl, so wie sie heute von Fukushima profitieren. Wie sehen Sie das?

 

Harms: In erster Linie erinnere ich mich daran, dass die Grünen und die Antiatombewegung auf so eine bittere Art bestätigt worden sind. Danach erinnere ich mich daran, dass die SPD gleich 1986 ihren Ausstiegsbeschluss gefällt hat. Der Ausstieg aus der Atomkraft sollte innerhalb von zehn Jahren passieren. Ich denke viel daran in den letzten Wochen, weil es in ganz Europa neue politische  Entwicklungen und neue politische Positionierungen gibt. In Frankreich hat erstmals die chefin der sozialistischen Partei erklärt, in Frankreich müsse der Atomausstieg eingeleitet werden.

 

NP: Deutschland probt nun den Atomausstieg. Was haben wir davon, wenn rund um uns herum Atommeiler stehen oder gar neue gebaut werden?

 

Harms: Ich gehe davon aus, dass die Maßnahmen, die eingeleitet worden sind, und die Erklärungen der Regierung zur Beschleunigung des Atomausstiegs Gültigkeit haben. Sonst könnte Kanzlerin Angela Merkel demnächst ihren Rücktritt erklären, denn noch mehr Zickzack würde keinen Sinn machen. Auch machtpolitisch nicht. Wenn es jetzt auf einen breiten gesellschaftlichen Konsens für einen beschleunigten und unumkehrbaren Ausstieg hinausläuft, erwarte ich,dass Deutschland mehr Initiative zeigt, für Vernunft in den anderen europäischen Ländern zu sorgen. Immerhin haben wir einen deutschen Energiekommissar Günther Oettinger, der auch sonst gern deutsche Interessen vertritt. Darüber hinaus gibt es viele vielversprechende und positive Signale aus den Nachbarländern.

 

NP: Welche?

 

Harms: Frankreich nannte ich bereits, in Belgien wird es wohl nicht zu der ursprünglich geplanten Laufzeitverlängerung kommen – auch dort diskutiert man jetzt über eine Beschleunigung der Abschaltung. In Italien hat Ministerpräsident Silvio Berlusconi gestern die Flucht aus seinem angekündigten Atomprogramm erklärt, die Schweiz hat ihr geplantes Neubauprogramm eingefroren. Der polnische Premier Donald Tusk hat gesagt, ohne ein Referendum kann es wohl auch in Polen keinen Einstieg in die Atomkraft geben. Es gibt viele Signale, dass die Politik auf den Bürgerwillen reagiert. Auch das ist neu: Selbst in Frankreich haben sich nach aktuellen Umfragen 70 Prozent für einen raschen Ausstieg ausgesprochen. Deutschland ist nicht so isoliert, wie manche interessierte Kräfte – auch die Atomindustrie – es gern darstellen.

 

NP: Das heißt, die Welt hat Ihrer Ansicht nach nicht aus Tschernobyl gelernt, aber womöglich jetzt aus Fukushima?

 

Harms: In Brüssel habe wir in den letzten Tagen gesagt: So wie der 11. September 2001 die Welt verändert hat, so wird auch der 11. März 2011 die Welt verändern – eben energiepolitisch. Wenn man global guckt: China hat nicht nur das geplante Neubauprogramm eingefroren, sondern auch vorhandene Baustellen, weil die Politiker in Peking ihrem Sicherheitsdesign nach Fukushima einfach nicht mehr trauen.

 

Dieser Artikel erschien am 21. April 2011 in der Neuen Presse. Autorin: Petra Rückerl


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